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Nachlässe - und was wir damit zu tun haben?

Alexander Kluge hat einmal ausgerufen: "Wir müssen uns auf die Socken machen, der Schnee schmilzt weg. Wach auf du Christ - und was noch nicht gestorben ist, macht sich auf die Socken!" (das dazu gehörige Interview lässt sich hier anklicken)

Warum müssen oder sollten wir uns auf die Socken machen? Was will er uns sagen, wenn er meint, der Schnee schmilze weg? Und warum sollten es gerade die Christen sein? Und die, die noch nicht gestorben sind?

Verzeihung - die letzte Frage ist einfach nur dumm. Wer gestorben ist, kann sich nicht mehr auf die Socken machen! Und die meisten haben ihren Nachlass nicht geregelt - vielleicht, und vielleicht im besten Fall, haben sie Wünsche zu ihrer Beisetzung geregelt; manche sogar minutiös - bis ins kleinste Detail. Dies wiederum mögen (die einen) Angehörigen als Erleichterung begreifen, manche (andere Angehörige) hingegen als Zumutung, denn was da alles geregelt wurde, widerstrebt möglicherweise den eigenen Überzeugungen und Wünschen! Und überhaupt! Nachlässe - manchen glauben, ob als Nachlasser oder als Nachlässe Empfangende, sie hätten gar nichts nachzulassen, oder nachgelassen. Nun gut: Alexander Kluge (hört Euch das oben verlinkte Interview noch einmal an) belehrt und eines Besseren. Pardon, Belehrung - ist das nicht eines der Unwörter schlechthin? Gut, reden wir nicht von Belehrung, sondern lediglich von dem Versuch, als alter, weiser Mensch den Nachkommenden etwas zu übermitteln, Erfahrungen, Kränkungen und den Umgang mit ihnen. Pardon, ich habe es gewagt, von alten, weisen Menschen zu reden. Stephan Lebert (bedingt) und Louis Lewitan - ich möchte meinen: Es handelt sich möglicherweise um junge alte Weise - in diesem Fall (ach, du große Scheiße) auch noch um Männer!

Ob Alexander Kluge, der ist nun wirklich mit seinen 93 Jahren alt, oder die beiden Erwähnten. Sie werden offenkundig nicht müde, dafür zu werben, dass es nicht hilft, die Augen zu schließen: Die Nachlässe kommen nicht, sie sind immer schon da - nicht nur "die vererbten Traumata des Krieges", sondern meinetwegen - wie bei Alexander Kluge - auch die Traumata von sich scheidenden Eltern, den damit verbundenen Zumutungen, Kränkungen und Enttäuschungen, die ein Leben lang damit verbunden bleiben:

"Es gibt in der Psychologie ein unerschütterliches Prinzip: Wer sich dem eigenen Trauma nicht stellt, reicht es an die nächste Generation weiter. Studien deuten darauf hin, dass ein Trauma über die >epigenetische Signatur< an künftige Generationen weitergegeben werden kann. >Zurzeit können diese Merkmale bis zur dritten Generation nachverfolgt werden<, so der renommierte Forscher Alon Chen. Man könnte es auch so formulieren: Welcher Deutsche seine Kinder liebt, sollte sich mit den Abgründen der Geschichte beschäftigen."

Wir müssten also offenkundig zunächst einmal sehen, dass in manchen Fällen Traumata zu den Nachlässen gehören - neben den manchmal doch so beglückenden Segnungen, die auch mit Nachlässen verbunden sein können: der/die eine erbt ein Haus, ein kleines Aktienpaket, einen Oldtimer oder eben andere schöne Sachen. Was den Sachen so manchmal anhaftet, sollten wir später noch einmal in Augenschein nehmen. Um eine gewichtige Übung kommen wir alle allerdings nicht herum, zumindest wenn man Kind(er) hat: Wir stehen offenkundig in einem transgenerationalen Nexus - wir stehen in Verbindung miteinander - im familialen Kontext befinden wir uns in unauflöslicher Verknüpfung! Okay, starker Tabak. Aber: Wer Kinder hat, schaue auf seine Kinder! Wie geht es denen? Wie geht es denen mit uns? Wie geht es uns mit denen? Und das ganze dekliniert über mindestens drei bis vier Generationen!

Alexander Kluge - der kluge, alte, weise Mann, antwortet 2012 Denis Scheck anlässlich seines 80sten Geburtstages auf die Frage, wie er es denn mit seinen Eltern halte, die sich scheiden ließen, als er noch ein Kind war: "Durch Revitalisierung - eigentlich dadurch, dass Sie gewissermaßen Empathie auch auf sie anwenden. Sehn sie, wenn die Zeiten sich so verdichten und beschleunigen, dass sie unheimlich sind - wenn die Zeiten sozusagen zeigen ein Rumoren der verschluckten Welt, als seien wir im Bauch eines Wals angekommen... wenn das alles so ist, dass man sich wie im Bauch eines Monstrums fühlt, dann kommt es darauf an sich zu verankern. Es ist am leichtesten sich zu verankern in dem, was wir in uns tragen! Sehen Sie, wenn wir beide unsere 16 Urgroßeltern nehmen - unter der Zahl werden wir nicht geboren sein - dann können sie sagen, die sind so extrem verschieden und wussten so wenig, in welchen Körpern sie einmal zusammen kommen werden, dass wir eigentlich denken müssten, bei uns müsste Bürgerkrieg herrschen." (Auch darum ist "Hildes Geschichte" entstanden!)

Redlich und - wenn überhaupt - überzeugend scheint es, am eigenen Fall zu argumentieren und zu erkennen, wo die Fallstricke liegen. Merkwürdigerweise wollen wir in der Regel nichts wissen über konkrete, leibhaftige Menschen, die uns (zu) nah sind. Wir wollen doch nicht wirklich wissen, was die alles in ihrem Leben gemacht haben, und wo möglicherweise ihre bitteren Verfehlungen liegen. Es ist genau so, wie mit dem Widerspruch, der Differenz mit Blick auf eine beeindruckende gesellschaftliche Erinnerungskultur auf der einen Seite und dem don't ask - don't tell auf der anderen Seite; die individuelle, innerfamiliale Auseinandersetzung will man nicht unbedingt führen! Das lässt sich - auch hier: wenn überhaupt - stellvertretend leisten, indem man sich der Fiktion anheimgibt; Romane (siehe auch hier: exemplarisch) und Filme leisten das, wovor wir uns fürchten.

Sich den eigenen Traumata stellen? Dahinter stellt sich die Frage: Wie groß müssen denn diese Traumata sein? Im Nachgang  zu Klaus Theweleit blieb für mich eigentlich immer nur die Erkenntnis, dass ein zurträgliches Miteinander (im Kleinen wie im Großen) wohl an nicht hintergehbare Baiscs genküpft bleibt. Aber auch da schüttet Theodor W. Adorno mit seiner Erziehung nach Auschwitz bittere Galle in allzu süßen Wein.

Nachlässe? in progress

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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