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Carl Schmitt - beginnen wir noch einmal von vorne

Fangen wir noch einmal ganz vor vorne an. Mehr als 90 Jahre nach Veröffentlichung der überschaubaren Publikation Der Begriff des Politischen (1. Auflage bei Duncker und Humblot, Berlin 1932) ist diese Schrift aktueller denn je. Es wird gewiss nicht um eine Rehabilitation des NS-Kronjuristen Carl Schmitt gehen. Gleichwohl lohnt ein genaueres Hinsehen, als ich es mir bislang gestattet habe. Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, dass mir Der Begriff des Politischen in der 7. Auflage von 1963 vorliegt. Dazu hat Carl Schmitt – datiert mit März 1963 – ein Vorwort geschrieben und versieht den Neudruck mit einer Reihe von Hinweisen. Er betont dabei, dass all das umfangreiche Material, das in der Auseinandersetzung mit seiner Schrift hinzugekommen sei, in einem bloßen Neudruck nicht berücksichtigt werden könne; einem „Neudruck, dessen Sinn und Zweck gerade darin besteht, einen Text, der von der Unmasse der ihm gewidmeten Widerlegungen übertönt worden war, wenigstens für einen Augenblick wieder zu Wort kommen zu lassen“. (S. 116)

In seinem 1963 formulierten Vorwort steht die legitimationsschwangere Frage: „Wie kann man das alles theoretisch erfassen, wenn man die Wirklichkeit, daß es Feindschaft zwischen Menschen gibt, aus dem wissenschaftlichen Bewusstsein verdrängt?“ (Seite 15) Eine Seite zuvor zitiert Carl Schmitt den österreichischen Historiker Otto Brunner, der in seinem bahnbrechenden Werk >Land und Herrschaft< (1. Aufl. 1939) eine wichtige historische Verifizierung seines Kriteriums des Politischen erbracht habe:

„Er schenkt der kleinen Schrift auch Beachtung, wenn er sie auch nur als einen >Endpunkt< registriert, nämlich den Endpunkt der Entwicklung einer Lehre von der Staatsräson. Zugleich erhebt er den kritischen Einwand, daß sie den Feind und nicht den Freund als das eigentlich positive Begriffsmerkmal hinstelle.“

Carl Schmitt wehrt sich gegen diesen Einwand, indem er meint, der Vorwurf eines angeblichen Primates des Feindbegriffs sei allgemein verbreitet und stereotyp. Er verkenne, daß jede Bewegung eines Rechtsbegriffs mit dialektischer Notwendigkeit aus der Negation hervorgehe. Dann erfolgt der aberwitzige Legitimationsversuch zur Rettung seiner Hypertrophie des Feindbegriffs, indem er wenige Sätze später darauf in sophistischer Manier darauf beharrt:

„Strafe und Strafrecht setzen nicht die Tat, sondern eine Untat an ihren Anfang. Ist das vielleicht eine >positive< Auffassung der Untat und ein >Primat< des Verbrechens.“

Im Wikipedia-Eintrag zu Otto Brunner findet sich folgender Hinweis:

„Brunners zentrale verfassungsgeschichtliche Arbeit Land und Herrschaft wurde von Algazi und anderen Historikern als Hinwendung an das Konzept seines Zeitgenossen Carl Schmitt interpretiert, der das >Politische< mit starker Betonung auf den Feind-Begriff definierte. Nach Brunners Verständnis war jedoch gerade auch das >Freundverhältnis< maßgeblich: Die mittelalterliche Geschichte sei vom Primat der Friedenswahrung im Zusammenleben durch ein gemeinsames Rechtsverständnis geprägt gewesen. Entscheidend sei nicht der Kampf um die Macht an sich, sondern das Ringen um das Recht, welches in seinem Wesenskern ein Ringen um den Schutz der gemeinsamen Friedensordnung sei.“

Dass Otto Brunner – selbst offenkundig überzeugter Nationalsozialist und NSDAP-Mitglied – mit seinem Vorbehalt ins Schwarze trifft, lässt sich überaus überzeugend darlegen. Wie schon so häufig betont und nachgewiesen, gewinnt die einseitige Auflösung des Freund-Feind-Gegensatzes zu einer maßlosen und hypertrophen Schlüsselstellung des Feind-Begriffs ihre Schärfe erst im Kontext der Verstrickung Carl Schmitts in die nationalsozialistische Ideologie. Im Gegensatz zu Hau-Drauf-Nationalsozialisten bietet Carl Schmitt eine feinsinnige Herleitung des Freund-Feind-Gegensatzes, von der er noch 1962 glaubt, er könne sie als rein wissenschaftliche Begriffsklärung und –erläuterung verkaufen.

Immerhin schließt Carl Schmitt das Vorwort mit der Einsicht ab, dass es schlicht unmöglich wäre, in einem Zeitalter, das nukleare Vernichtungsmittel produziere und gleichzeitig die Unterscheidung von Krieg und Frieden verwische, eine Reflexion über die Unterscheidung von Freund und Feind aufzuhalten. Das große Problem sei doch die Begrenzung des Krieges […], wenn sie nicht auf beiden Seiten mit einer Relativierung der Feindschaft verbunden sei.

Angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine seit mehr als drei Jahren, angesichts der unerbittlichen Feindschaften, die sich im Nahen Osten Bahn brechen – um nur aktuelles Kriegsgeschehen in den Blick zu nehmen – ist man in der Tat versucht, Carl Schmitt zu folgen, wenn er mit Blick auf seine Freund-Feind-Unterscheidung behauptet:

„Hier handelt es sich nicht um Fiktionen oder Normativitäten, sondern um die seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung. Man kann […] Hoffnungen und erzieherische Bestrebungen teilen oder nicht; daß die Völker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren, daß dieser Gegensatz auch heute noch wirklich und für jedes existierende Volk als reale Möglichkeit gegeben ist, kann man vernünftigerweise nicht leugnen.“ (S. 28f. – Hervorhebung FJWR)

Aber bereits hier ist auf semantische Besonderheiten zu achten, insofern Schmitt ganz offenkundig in der Wortwahl aus seiner Sicht präzise ist und die seinsmäßige Wirklichkeit auf grundlegende Kategorien zurückführt, die vernünftigerweise niemand leugnen könne. Er erwägt hier in der Wortwahl weder ein nüchternes: realistischerweise oder ein neutrales: empirisch validierter Weise, womit man seine fundamentale Freund-Feind-Kategorisierung als erfahrungsgemäß einordnen könnte. Nein, Carl Schmitt regt an, diese Kategorisierung vernünftigerweise als seinsmäßige anzunehmen.

So erscheint es folgerichtig, dass Carl Schmitt den Liberalismus (und alle demokratisch verfassten politischen Systeme) in einem Dilemma sieht, insofern er – der Liberalismus – „den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geistseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht“. (Seite 28) Ob man es aber für verwerflich halte oder nicht – so Schmitt weiter – und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin finde, dass die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppierten, oder hoffe, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, und ob man es vielleicht für gut und richtig halte, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, dass es überhaupt keine Feinde mehr gebe, all das komme (hier für ihn) nicht in Betracht!

„Feind ist also nicht der Konkurrent oder der Gegner im allgemeinen. Feind ist auch nicht der private Gegner, den man unter Antipathiegefühlen hasst. Feind ist eine wenigstens eventuell, d. h. der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht.“ (Seite 29)

Carl Schmitt betont in differenzierender Absicht, dass man das Wort Feind – ebenso wie das Wort Kampf – im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen habe:

„Es bedeutet nicht Konkurrenz, nicht den >rein geistigen< Kampf der Diskussion, nicht das symbolische >Ringen<, das schließlich jeder Mensch irgendwie immer vollführt, weil nun einmal das ganze menschliche Leben ein >Kampf< und jeder Mensch ein >Kämpfer< ist. Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist die seinsmäßige Negierung eines anderen Seins. Krieg ist nur die äußerste Realisierung der Feindschaft. Er braucht nichts Alltägliches, nichts Normales zu sein, auch nicht als etwas Ideales oder Wünschenswertes empfunden werden, wohl aber muß er als reale Möglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat.“ (Seite 33, Hervorhebung FJWR))

Nachdem das erste Viertel des 21. Jahrhunderts nahezu verstrichen ist, gewinnen die Beschreibungen Carl Schmitts eine beklemmende Aktualität. Mit Blick auf die Legitimation der Vorgehensweise Israels gegen den Iran erscheint es schon verblüffend, wie die Verhinderung von Krieg durch Krieg im Sinne eines Präventivschlags Gestalt annimmt. Carl Schmitt schreibt:

„Ist der Wille, den Krieg zu verhindern, so stark, daß er den Krieg selbst nicht mehr scheut, so ist er eben ein politisches Motiv geworden, d. h. er bejaht, wenn auch nur als extreme Eventualität, den Krieg und sogar den Sinn des Krieges. Gegenwärtig erscheint das eine besonders aussichtsreiche Art der Rechtfertigung von Kriegen  zu sein. Der Krieg spielt sich dann in der Form des jeweils >endgültig letzten Krieges der Menschheit< ab. Solche Kriege sind notwendigerweise besonders intensive und unmenschliche Kriege, weil sie, über das Politische hinausgehend, den Feind gleichzeitig in moralischen und anderen Kategorien herabsetzen und zum unmenschlichen Scheusal machen müssen, das nicht nur abgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden muß, also nicht mehr nur ein in seine Grenzen zurückzuweisender Feind ist. An der Möglichkeit solcher Kriege zeigt sich aber besonders deutlich, daß der Krieg als reale Möglichkeit heute noch vorhanden ist, worauf es für die Unterscheidung von Freund und Feind und für die Erkenntnis der Politischen allein ankommt.“ (S. 37)

Die iranische Führung, die seit 45 Jahren von der Vernichtung Israels spricht und träumt, die Hamas in ihrem hasserfüllten Furor wecken den ungleich – militärisch betrachtet – potenteren Vernichtungsfuror eines Gegners, der seit seiner Staatsgründung mit dem Rücken zur Wand steht. Israel droht nicht nur der Hamas, sondern (unterdessen) auch dem Iran mit totaler Vernichtung und unterstreicht dies glaubhaft mit der physischen Eleminierung der militärischen, politischen und wissenschaftlichen Eliten.

Anders verhält es sich mit den ideologisch durchschaubaren, infantilen Vernichtungsphantasien einer zutiefst gekränkten russischen Seele. Statt ihre Zurechtschrumpfung auf eine regionale Mittelmacht zu aktzeptieren, traktiert und kujoniert uns russische Großmannssucht mit permanenten souveränitätsverletzenden Übergriffen. Und sie kann, was sie tut, ausschließlich, weil sie nukleare Großmacht ist. Es gibt für das Herrschaftsgebaren und die Machtansprüche eines autokratischen Führers à la Putin und seiner Oligarchenclique keine Legitimation. Die scheinrechtliche Machtabsicherung basiert hinsichtlich der Durchsetzung ihrer innen- und außenpolitischen Ansprüche auf einer faschistoiden Ideologie; einer konsequenten Demontage des Rechtsstaates, der Gewaltenteilung und einer gesellschaftlichen Gleichschaltung.

Wenn wir der Frage nachgehen, ob Carl Schmitt mit seiner Analyse nur wissenschaftlich ambitionierter, neutraler Beobachter ist, oder gleichermaßen politischer Akteur, der die seinsmäßige Wirklichkeit nicht nur beschreibt, sondern ihr Handlungsnotwendigkeiten abnötigt, hilft folgende Einlassung zur Freund-Feind-Unterscheidung:

„Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren. Das Politische liegt nicht im Kampf selbst, der wiederum seine technischen, psychologischen und militärischen Gesetze hat, sondern, wie gesagt, in einem von dieser realen Möglichkeit bestimmten Verhalten, in der klaren Erkenntnis der eigenen, dadurch bestimmten Situation und in der Aufgabe, Freund und Feind richtig zu unterscheiden.“ (S. 37)

An der richtigen Unterscheidung von Freund und Feind lässt Carl Schmitt keinerlei Zweifel, weder begrifflich noch unmittelbar in praktischer Hinsicht:

„Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann sogar vorteilhaft sein, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines >unbeteiligten< und daher >unparteiischen< Dritten entschieden werden können.“

Keine unabhängige Gerichtsbarkeit, kein Schiedsgericht, kein internationaler Gerichtshof, kein Völkerbund, nicht die Vereinten Nationen können hier das tun, von dem noch Carl Schmitts Partei- und Gesinnungsgenosse Otto Brunner annahm, dass dem Kampf um die Macht das Ringen um das Recht entgegenzusetzen sei – immer in der Absicht ein gemeinsames Rechtsverständnis zu schaffen, dessen oberstes Ziel der Schutz einer gemeinsamen Friedensordnung sei. Hier ist Otto Brunner (auch als Nationalsozialist) weit näher bei Immanuel Kants Vorstellungen von einer vertragsbasierten Friedensordnung als bei Carl Schmitt.

Der hingegen schottet den dann in der Herrschaft der Nazis beobachtbaren staatlichen Terror gegen jede neutrale, unabhängige Gerichtsbarkeit ab:

„Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier nämlich nur durch das existenzielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben. Den extremen Konfliktfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.“ (S. 27)

Nein, der Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muss eben nur der andere, der Fremde sein, „und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist“.

Folgerichtig kann das der eigene Nachbar sein. Es kann der sein, der in der Schule neben einem gesessen hat, sogar der, der im Stellungskrieg auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges neben einem gekämpft hat. Jedenfalls liegt genau dies in der Logik jemandes, der die Nürnberger Rassengesetze eine Verfassung der Freiheit genannt hat (Fundstelle bei Christina von Braun/Tilo Held, Berlin 2025, S. 170). Es liegt in der Logik jemandes, der sich – als Universalgenie der deutschen Jurisprudenz – nicht entblödet und den Führer zum „obersten Gerichtsherrn“ erklärt (Der Führer schützt das Recht <1934>, Heft 15, Spalten 945-950).

In der zuletzt genannten Auslassung Der Führer schützt das Recht (1934), so kann man mit Christina von Braun schlussfolgern, propagiert Carl Schmitt das "Ideal einer >oralen< Justiz":

"Schmitt hatte es auf eine Jurisprudenz abgesehen, die unmittelbar wie das gesprochene Wort und zugleich eindeutig wie die Schrift war. Um dieses Ziel zu erreichen, pervertierte er den Sinn von Montesquieus Aussage, der Richter sei nur >der Mund<, der das Gesetz verkünde, im nationalsozialistischen Sinne. Der Satz, so Schmitt, führe direkt >in die Sphäre des von organischen, biologischen und völkischen Verschiedenheiten erfüllten lebendigen menschlichen Seins<."

Sie führte im Zuge einer radikalen Auslegung der Nürnberger Rassengesetze genauso nach Auschwitz wie über den Volksgerichtshof nach Plötzensee. Denn für Schmitt gibt es da keinen Zweifel:

"Bis in die tiefsten, unbewußtesten Regungen des Gemütes, aber auch bis in die kleinsten Gehirnfasern hinein steht der Mensch in der Wirklichkeit dieser Volks- und Rassenzugehörigkeit [...] Ein Artfremder mag sich noch so kritisch gebärden und noch so scharfsinnig bemühen, mag Bücher lesen und Bücher schreiben, er denkt und versteht anders, weil er anders geartet ist, und bleibt in jedem entscheidenden Gedankengang in den existentiellen Bedingungen seiner Art." (zitiert nach Christina von Braun, Seite 173f. - aus Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, 1933)

Es ist derselbe Carl Schmitt, der 1963 „einen Text, der von der Unmasse der ihm gewidmeten Widerlegungen übertönt worden war“, wenigstens für einen Augenblick wieder zu Wort kommen lassen will, der eine posthume Veröffentlichung seiner Tagebücher autorisiert:

Mit der Lektüre seiner Tagebücher verbietet sich dann letztendlich jeder Versuch einer Ehrenrettung des Universalgelehrten Carl Schmitt. Carl Schmitt selbst schiebt einer Rehabilitierung (oder sprechen wir milder von einer Relativierung seiner Positionen) einen knallharten Riegel vor. Wolfgang Schuller als Herausgeber der Tagebücher 1930-1934 (Akademie-Verlag, Berlin 2010) sieht sich beispielsweise immer wieder in dieser Versuchung. Sieht man einmal ab von den Eintragungen Schmitts insbesondere zur Judenfrage, stößt man natürlich unablässig auf die tiefe Verstrickung Schmitts in die nationalsozialistische Führerideologie. Dabei spielt es keine Rolle, dass Schmitt selbst zwischen die Fronten gerät, bleibt er doch bis zuletzt insbesondere Protegé Hermann Görings. Auch in der Würdigung von Michael Reitz aus dem Jahr 2019 überwiegt eine respektvolle, anerkennende Haltung, die die Verstrickungen Carl Schmitts in die Führerideologie und letztlich den Genozid nicht angemessen berücksichtigt - siehe dazu auch Christoph Becker). Unterdessen kann man bobachten, wie weit Trumps Versuche gehen werden, den Rechtsstaat zu unterminieren. Wolfgang Schuller schreibt in seinem Nachwort zu Carl Schmitts Tagebüchern auf Seite 467:

"Begeisterung für Hitler - etwa nach dessen Rede auf dem Leipziger Juristentag (3.10.33) - wird zwar gelegentlich zur Ironie relativiert [...], aber fast tragikomisch ist die Beteuerung, dass und wie begeistert er alle drei Strophen des Horst-Wessel-Liedes gesungen habe."

Nein, Wolfgang Schuller! Das ist nicht "tragikomisch"!!! Carl Schmitt macht sich kenntlich und hat dies offenkundig auch bis zu seinem Tod nicht bedauert. Es bleibt dabei: Nur ein toter Jude ist ein guter Jude: "Und dann die Juden [...] das ist der düsterste Aspekt des Tagebuches. Gerade in Bezug auf die Juden spielt das Adjektiv 'eklig' eine besonders große Rolle und auch sonst sind abschätzige und sogar hasserfüllte Äußerungen Legion."

Carl Schmitt hat bis zuletzt - er ist 97 Jahre alt geworden, keinen Abstand genommen von einem tief verankerten Antisemitismus. Umso unverständlicher erscheint mir, dass z.B. Hans Kosselek Carl Schmitt bis zuletzt verbunden blieb.

Nachbemerkung zum zeitlos ewigen Feind: Wir beobachten (auch gegenwärtig unleugbar), wie Appelle – seien es päpstliche oder die des UN-Generalsekretärs – vollkommen ohne Resonanz bleiben; zumindest bei jenen, die sich folgenden Hinweis Carl Schmitts zu eigen machen:

„Wer mit einem absoluten Feind kämpft – sei dieser Klassen- oder Rassen- oder zeitlos ewiger Feind – interessiert sich ohnedies nicht für unsere Bemühungen um das Kriterium des Politischen; im Gegenteil, er sieht darin eine Gefährdung seiner unmittelbaren Kampfkraft, Schwächung durch Reflexion, Hamletisierung und eine verdächtige Relativierung […]. Umgekehrt machen die verharmlosenden Neutralisierungen den Feind zum bloßen Partner (eines Konflikts oder Spiels) und verdammen unsere Erkenntnis einer handgreiflichen Wirklichkeit als Kriegshetze, Machiavellismus, Manichäismus und – heutzutage unvermeidlich – Nihilismus.“ (S. 118)

Nun ja. Carl Schmitt geht es offenkundig um die ontologische Fundamentalbetonage seiner Wesensunterscheidung von Freund und Feind mit drastischen Folgen für eine gesellschaftliche Ordnung und die Bemühungen um eine völkerrechtliche Ausrichtung im Konflikt- und Deeskalationsmanagment:

„Entfällt (nämlich) diese Unterscheidung, so entfällt das politische Leben überhaupt. Es steht einem politisch existierenden Volk keineswegs frei, durch beschwörende Proklamationen dieser schicksalhaften Unterscheidung zu entgehen. Erklärt ein Teil eines Volkes, keinen Feind mehr zu kennen, so stellt er sich nach Lage der Sache auf die Seite der Feinde und hilft ihnen, aber die Unterscheidung von Freund und Feind ist damit nicht aufgehoben.“ (S. 52)

Hat man so nicht nur den Führer, sondern auch seinen Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler in der Aburteilung des deutschen Widerstands tönen hören?

Abschließend greife ich die Formulierung Carl Schmitts auf und fühle mich genötigt festzustellen, dass - wer mit einem absoluten Feind kämpft - sich ohnedies nicht um unsere Bemühungen interessieren wird. Im Gegenteil wird er darin eine Gefährdung seiner unmittelbaren politischen Handlungsfähigkeit sehen - eine Schwächung durch Reflexion! Wo lernt man denn Reflexion? In der Familie - zu Hause, in der Schule, im Freundes-  und Bekanntenkreis? Ich kann immer noch nicht glauben, dass am 23.2.2025 mehr als ein Fünftel den Wahlurnen der AfD ihre Stimme gegeben haben!

 

Marschliedchen 2025 (Franz Josef Witsch-Rothmund
in Anlehnung an Erich Kästner)

Die Dummheit zog in Viererreihen (so zieht sie immer noch),
Heut schämt sich die Dummheit selbst der Dummen.
So dämlich wie ihr seid, mahnt sie euch zu verstummen,
Statt Idioten gleich nach deutschem Wesen heut zu schreien.

Ihr kommt daher und wärmt die schalen Suppen,
In euren Schädeln haust ein brauner Geist,
Der euch verwirrt und alles mit sich reißt -
Nur nicht von euren Augen alle Schuppen!

Marschiert ihr nun in Chemnitz und in Halle…,
Ihr findet doch nur als Parade statt,
Denn das, was jeder da von euch im Kopfe hat,
Man nennt es Dummheit wohl in jedem Falle!

Weil wieder predigt ihr den Hass
Und wollt die Menschheit spalten -
Statt schlicht an Recht und Ordnung euch zu halten,
Wähnt ihr das Volk zu sein und träumt vom völkisch-deutschen Pass!

Ihr habt die Trümmerwelt im deutschen Wahn vergessen,
Von Schuld und Sühne ist die Rede nie,
Ihr brüllt nach deutscher Größe selbstvergessen;
Ich hoff, ihr schießt euch nur ins eigne Knie!

Ihr wollt die Uhren rückwärts drehen
Und stemmt euch gegen die Vernunft.
Dreht an der Uhr und doch: die Zukunft
wird euch als ewig gestrig sehen!

Wie ihr’s erträumt, wird Deutschland nicht erwachen,
Denn ihr bleibt unbelehrbar und nicht auserwählt!
Die Zeit ist nah, da man erzählt:
Das war’s: das Volk wird Nazis nicht zu seinen Führern machen!

Nie wieder – Wider das Vergessen – Nie wieder – Wider das Vergessen – Nie wieder

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund