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Grade junge Menschen sehnen sich nach langjährigen, stabilen Beziehungen

Elisabeth Niejahr in der ZEIT 33/2015, S. 2

Die von mir gewählte Überschrift findet sich in Spalte 3 des Dreispalters, den Elisabeth Niejahr (ein Schwergewicht in der ZEIT-Redaktion), mit dem Titel versieht: "Und wenn Ja, wie viele?"Die Frage: "Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?" begleitet die (post)modernen Menschen schon seit Jahrzehnten. Wenn sie alt werden, Kinder haben, haben sie sich im besten Fall Fragen, wie diese kokett-verstörte weiter oben, beantwortet. Sie stellen sich sogar noch andere Fragen. Die nach dem Sinn des Lebens hat sich für diejenigen, die Kinder in diese Welt gebracht haben und ihre Eltern begleiten auf dem Weg hinaus aus dieser Welt, längst beantwortet. Jenseits dieser basalen Sinndimension, die uns das Leben selbst anbietet, gestatten sie sich in den Wohlstandsregionen dieser Welt natürlich auch den Sinn im Unsinn zu suchen: Im Reisen, in der Kunst, in der Bewegung (die nicht im Reisen aufgeht) oder in den Sinnofferten, die uns andere verheißen.

Zumindest aber könnten die eigenen Kinder auf die Idee kommen und die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, der Liebe auch eine Form zu geben - womöglich gar eine justiziable. Die Antwort darauf haben wir natürlich längst gegeben. Immerhin sind unsere Kinder die authentischsten Beobachter unserer Sinnsuche. Sie sind selbstverständlich nicht nur Beobachter, sondern sie sind - meist ohne es (noch oder schon) zu wissen - die Seismographen und die lebendigen Inkarnationen einer Beziehungskultur, die ihnen vorgelebt worden ist, und deren lebendiges Netzwerk sie Zeit ihres Lebens mitgestalten; dem sie allerdings zuerst ausgeliefert waren, und das sie im Laufe der Zeit mehr und mehr aktiv beeinflussen - mit und gegen die bedeutsamen Anderen. Leider kommen ihnen dabei die bedeutsamen Anderen zuweilen auf unterschiedlichste Weise abhanden:

Indem sie weggehen, sterben oder indem sie Fürsorge und liebevolle Zuwendung verweigern. Auf dem Leben dieser Kinder lastet dann bereits eine mächtige Hypothek. Wir Lehrer können davon ein arges Lied singen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir selbst natürlich die Melodien für solche Lieder mitschreiben!

Elisabeth Niejahrs Artikel möchte ich auf seinen argumentativen Kern reduzieren, um die Klemme zu verdeutlichen, in denen sich manche Menschen heute bewegen und für die verbindliche bzw verlässliche Regelungen zu finden sind:

  • Frankreich (ist nicht Deutschland): Das wissen wir schon immer. Und ob Frankreich zum Vorbild taugt, möchte ich mehr als dahingestellt sein lassen. In Frankreich gibt es seit 1999 die "Ehe light": Wer in Frankreich einen "Pacs"  (pact civile de solidarité) unterzeichne, habe ähnliche Vorteile bei Steuern, Rente wie Ehepaare, aber weniger Unterhaltspflichten erklärt uns Elisabeth Niejahr. "Neun von zehn neuen, behördlich besiegelten Paarverbindungen in Frankreich sind Pacs und keine Ehen."
  • In Deutschland hat jedes dritte Neugeborene unverheiratete Eltern. Elisabeth Niejahr zitiert Franziska Brantner (familienpolitische Sprecherin der Grünen), die vermute, dass solche Paare womöglich an einer weniger verbindlichen Variante der Ehe interessiert seien. Sie spricht sich für Pacs-ähnliche Verbindungen auch in Deutschland aus. Die FDP habe dazu sogar schon einen Parteitagsbeschluss gefasst.

Elisabeth Niejahr präzisiert den Titel ihres Beitrags mit dem Untertitel: "Immer weniger Menschen wollen heiraten. Rechtlich binden möchten sie sich trotzdem, zu zweit, zu dritt ..." Die Erweiterung zu einer Dreier-Verbindung z.B. wird - wie sollte es anders sein - vor allem in den Vereinigten Staaten thematisiert: "In den Vereinigten Staaten wird über die Vielehe ganz ernsthaft diskutiert, seit der Supreme Court vor eingigen Wochen entschied, dass die Ehe auch für Schwule und Lesben erlaubt sein müsse. Sofort meldeten sich einige streng fundamentalistische Mormonen zu Wort, die im Gegensatz zur großen Mehrheit ihrer Religionsgemeinschaft Polygamie befürworten. Konservative Kommentatoren gaben ihnen recht. Wenn eine Ehe fortan nur noch ein 'gender-neutraler, leicht kündbarer Vertrag' sei, schrieb ein Autor der New York Times, dann gebe es keinen Grund, warum diese Verbindung Menschen mit mehreren Paaren vorenthalten werde. Liberale Ehereformer kämpfen plötzlich gemeinsam mit Männern, die mehr als eine Ehefrau beanspruchen."

Dass es auch anders herum Handlungsbedarf gibt, zeigt Elisabeth Niejahr am Beispiel von Jochen König auf. Die Fakten:

  • König hat ein Baby, und er ist Vater einer bereits fünfjährigen Tochter. Nach der Trennung von deren Mutter wollte er sich zwar nicht wieder binden, aber er hatte den Wunsch unbedingt noch einmal Vater zu werden. Er erzählte von diesem Wunsch, ein Kind mit einer Frau zu zeugen und großzuziehen (der er sich aber nicht durch eine Liebesbeziehung verbunden fühle) im Bekanntenkreis: "Marie, eine alte Freundin, fand an der Idee gefallen. So wurde Lynn gezeugt." Während der Schwangerschaft bildete sich bei Cora, Maries Lebensgefährtin, der Wunsch, als gleichberechtigter Elternteil Lynn mit großzuziehen.
  • Jochen König, Marie und Cora diskutierten dies in langen Gesprächen und schlossen miteinander "ein paar klare Verabredungen": Die wichtigste von allen beinhaltet, dass Entscheidungen nicht nach dem Mehrheitsprinzip gefällt werden dürfen. So dürfen die beiden Frauen den Vater nicht überstimmen. Aber auch die leiblichen Eltern entscheiden nicht gegen die "zweite Mutter".
  • Die Verantwortungsübernahme zeigt sich in formaler Hinsicht - sie fanden einen Namen, der allen gefiel. Aber sie gingen auch gemeinsam zu Vorsorgeterminen und wechseln sich seit der Geburt mit Lynns Betreuung ab.

Und nun kommt Deutschland bzw. Politik in Deutschland ins Spiel. Jochen König, der den oben geschilderten Prozess in einem Buch dokumentiert (Elisabeth Niejahr meint es sei eine Mischung aus "Erlebnisbericht und der Analyse moderner Familienformen"), hat für dieses Buch Vertreter aller Bundestagsfraktionen kontaktiert. Das Motiv ist klar und verständlich: "Er wollte für eine bessere rechtliche Absicherung seiner Kleinfamilie werben. Falls ihm und der Mutter etwas zustoße oder im Fall der Trennung von Marie stehe Cora ohne rechtliche Absicherung ihres Mutter-Status da." Während die Grünen - entgegen obiger Haltung - gar nicht antworteten, hätten Linke und Sozialdemokraten mit Unverständnis reagiert. Ein CDU-Vertreter meinte, in solch private Lebenspläne mische sich seine Partei grundsätzlich nicht ein.

Jochen König hält dem zu Recht entgegen, die Privilegien der Ehe seien doch auch eine Einmischung. Die Zeit einer offenen, normativ begründeten Einmischung liegt inzwischen einige Jahrzehnte zurück - von der patriarchalischen Machtfülle alleine über den Wohnort des Paares und eine mögliche Erwerbstätigkeit der Ehegattin bestimmen zu können bis hin zur Entfernung des Ehebruchs aus dem Strafrecht und dagegen zuletzt - erst 1997 - die Vergewaltigung in der Ehe im Strafrecht zu verankern. Die stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Katja Suding hat wohl Recht damit, im Steuerrecht lieber die Kindererziehung zu honorieren als die Ehe. Damit zusammenhängend wäre der Splitting-Vorteil für Kinderlose zu senken und - wie zu hören ist - auch nur dann zu gewähren, wenn Paare ebenso im Alter bei der Rente halbe-halbe machen.

Der Schlussabsatz von Elisabeth Niejahr ist bemerkenswert und zeigt die Dilemmata auf, wenn in einer Zivilgesellschaft Lebensformen entstehen, für die die Politik noch kein Koordinatensystem entwickelt hat:

"Es bewegen sich also einige, die bisher 'Nein' zu Ehe-Reformen sagten - dafür bremsen andere, die in den vergangenen Jahren davon profitierten. Bei den Grünen widersprechen gerade die Schwulen und Lesben Franziska Brantner, wenn die Familienpolitikerin ein Einführung von Pacs-Verträgen fordert. Vielleicht wissen wenige Menschen die Ehe so zu schätzen wie jene, die noch immer für die völlige Gleichstellung kämpfen."

Aber "gerade junge Menschen sehnen sich nach langjährigen, stabilen Beziehungen" - und nach all dem, was ihre Eltern, zumindest einige von ihnen, eher skeptisch bis ablehnend gesehen haben: Die Bestätigung ihrer romantischen Liebe mit einer weißen - und auch kirchlich gesegneten - Hochzeit, die ganz offensichtlich auch nicht den Scheidungsvorbehalt vertraglich und vorsorglich schon in vorauseilendem Gehorsam regelt.

Als Patenonkel jedenfalls habe ich ein solches Hochzeitsfest erst vor wenigen Monaten erleben dürfen, und ich vermute und hoffe, dass dies nicht die letzte Hochzeit gewesen sein mag. Dies hoffe ich vor allem, weil ich einerseits erlebe, dass sich der letzte Lebenssinn nicht in Zweisamkeit erfüllt, sondern indem wir über sie buchstäblich hinauswachsen.

Dass die Nachwachsenden von uns Alten unter Umständen auch etwas lernen könnten, ist nicht in jedem Fall garantiert, aber auch nicht ausgeschlossen.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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