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Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil V)
Schulden und Gaben: Die Politik der Verbindlichkeit – Pflichtlektüre im komplexen Nexus des Gebens und Nehmens ist wohl bis zum heutigen Tag Marcel Mauss‘ Essay „Die Gabe“ aus dem Jahr 1920. Maximilian Probst fasst die Kernaussage zusammen, indem er auf Mauss‘ Beobachtung hinweist, dass schon in archaischen Gesellschaften Schuld und Schulden bloß als Teil eines umfassenden Systems der Gaben verstanden werden:
„Beim Geben, schreibt er, gibt man sich selbst, ‚und zwar darum, weil man sich selbst – sich und seine Besitztümer – den anderen >schuldet<‘. Die anderen, das sind in diesem Fall nicht individuelle Gläubiger, sondern ‚Kollektive, die sich gegenseitig verpflichten, austauschen und kontrahieren‘ und zwar mittels Gaben und Geschenke. Entscheidend ist dabei, dass diese scheinbar freiwilligen Gaben erwidert werden müssen, dass sie ‚streng obligatorisch sind, bei Strafe des privaten oder öffentlichen Kriegs (S. 198).“
Maximilian Probst meint, die Überlegungen Mauss‘ könnten uns vor der Einseitigkeit bewahren, alles auf das rechnende Denken zurückzuführen. Mit einem Schuss Nietzsche, standen eben noch alle edlen Motive in Frage, da er doch meint, mit der Gabe schaffe man in erster Linie Abhängigkeiten (siehe Probst, Seite 203). Mit Marcel Mauss gelangt Probst dann doch noch zu der Auffassung, dass seine Geld schenkende Verwandtschaft mitnichten (nur) aus Eigenliebe gehandelt hätte, dass dies eben nur ein mögliches Motiv neben anderen gewesen sei, dass sie ebenso aus liebender Aufopferung, aus zeremoniellen Gründen, aus einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und aus Lust am Spiel schenkten:
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Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil IV)
Kapitel 5 – Die größte Verbindlichkeit (Seite 139-157) - hier: Teil III
Tugend hin, Tugend her – der größten aller Verbindlichkeiten die Aura der Tugend zu verleihen greift zu kurz. Daran lässt jedenfalls Maximilian Probst keinen Zweifel:
„Kinder bringen die Verbindlichkeit schlechthin. Man ist dieser Verbindlichkeit völlig ausgeliefert, vom ersten Tag an. Rums – ist ein Kind da (Seite 141).“
Wenn ein Mann schreibt – und Maximilian Probst schreibt genau dies -, dass er sich um die Kinder kümmerte, „im gleichen Maß wie meine Frau“, dann schreibt er sich ein in jenen gewaltigen Veränderungsschub, der die Welt verändern könnte – verändern kann! Daran ändert auch nichts seine Relativierung, dass ihm dies zumindest so scheine, und dass seine Frau das „vielleicht ein wenig anders sieht“.
„Ich wickelte die Kleinen, wiegte sie in den Schlaf, schob sie in der Karre durch die Straßen, saß mit ihnen im Sandkasten und hörte dort Müttern zu, wie sie über Wickelkommoden, Kinderwagen und Sandkastenspielzeug sprachen (Seite 142f.).“
Der Konjunktiv mit Blick auf Veränderungsschübe ist also angemessen. Gleichwohl bestehe ich als Vater und Großvater auf den ungeborgenen Potentialen, indem ich insbesondere die Väter und die Großväter dazu anregen möchte, ihre Erfahrungen als Väter und Großväter aufzuschreiben, sie zur Sprache und damit in die Welt zu bringen. Nur auf diese Weise erscheint mir der Wahnsinn in seinem Wahnsinn greifbar zu werden, der aus den Versäumnissen resultiert, Kindern zu geben, was den Kindern gemäß ist. Ich weiß – zu plakativ, zu abstrakt. Also beschränke ich mich exemplarisch - im Sinne konkreterer Hinweise - auf den weise gewordenen (leider allzu früh verstorbenen) Karl Otto Hondrich.
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Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil III)
Maximilian Probst widmet das komplette vierte Kapitel seiner Abhandlung über die unzeitgemäße Tugend der Verbindlichkeit der Ehe. Ich stoße auf einen Vertrauten aus der Frühzeit konstruktivistischer Theoriebildung. Probst zitiert Heinz von Foerster mit der ihm zugeschriebenen Formel: Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst – hierin sahen/sehen viele den neuen ethischen Imperativ einer der Freiheit verpflichteten Gesellschaft. Mit dieser Facette einer Vorstellung von Freiheit leitet Maximilian Probst seine Eintragungen zum 18. August ein. Um es kurz zu machen. Man kann lange darüber rätseln, warum Probst Heinz von Foerster just in diesem vierten Kapitel das Wort gibt und dann auch schlussfolgert:
„Heinz von Foerster hat mit seinem neuen ethischen Imperativ richtiggelegen, genau wie Nietzsche mit seinem prophetischen Satz: ‚Vielleicht gab es noch nie ein so offenes Meer.‘ Nur muss man wohl hinzufügen: für Männer (Seite 111 – in der Kreuzstraße 111 wohnte meine Tante Annemie – an ihrem Beispiel mag man nachvollziehen, wie unverzichtbar Maximilian Probst’s Hinzufügung ist).“
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Zur Welt kommen – zur Sprache kommen (im Andenken an meine liebe Tante Annemie)
Der nachfolgende Text dient in erster Linie dazu, eine These zu validieren, die Maximilian Probst in Anlehnung an Heinz von Foerster formuliert (Maximilian Probst Teil III). Er behauptet hier, Heinz von Foerster habe mit seinem neuen ethischen Imperativ – Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst – richtiggelegen, genau wie Nietzsche mit seinem prophetischen Satz: „Vielleicht gab es noch nie so ein offenes Meer.“ Nur – meint Maximilian Probst – müsse man wohl hinzufügen: für Männer. Von Maximilian Probst (1977) trennt mich (1952) eine Generation. Ich gehöre dem Jahrgang 1952 an. Als zutiefst prägend und irritierend – mit Blick auf den gewaltigen, galaktischen Unterschied zwischen Männern und Frauen, was den Möglichkeitsraum angeht – erwiesen sich die Beobachtungen meiner Tante und ihres Schicksals in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren. Vor allem der Titel der nachfolgenden Auskopplung soll signalisieren, dass nur – und ich behaupte: nur und ganz und gar exklusiv – der Zugang zu Bildung gleichbedeutend ist mit dem Sloterdijkschen Versprechen: Zur Welt kommen – zur Sprache kommen (Suhrkamp – Frankfurt 1988). Innerhalb des sozialen Milieus, dem ich entstamme, kam man selbstverständlich zur Welt, aber in den seltensten Fällen zur Sprache. In der Verfügung über welterschließende und weltbeschreibende Sprache manifestieren sich im besten Fall die Aneignung differenzierten Wissens und damit qualifizierte Zugänge zu einer komplexen Welt. Die abschließenden Sätze in Sloterdijks Frankfurter Vorlesungen (Seite 175f.) lauten:
„Meine Damen und Herren, Gedichte und anderes frei Gesagte sind Atemschiffchen, die sich in Offene aussetzen. Daher sind freie Worte wichtiger als große. Doch kommt es vor, daß die freien sich als die großen erweisen. Ein Gedicht von Paul Celan spricht vom Auftauchen des unbedingten eigenen Wortes:
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Maximilian Probst: Verbindlichkeit -
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil II)
Mit Maximilian Probst (Verbindlichkeit - Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend, Hamburg 2017)) lassen sich die vier Gipfel des Moderne-Massivs lapidar auf den Punkt bringen: „Alles ist künstlich, alles ist käuflich, alles ist verstreut, alles ist rechtlich fixiert (Seite 86).“
Die Dimensionen haben sich allerdings verschoben. In den Jahren nach meiner Lebens-Mitte-Krise habe ich u.a. mit Hilfe Ulrich Becks versucht herauszufinden, wie denn eigenes Leben in dieser sich relativierenden Welt überhaupt noch funktionieren kann. Maximilian Probst zitiert ihn just an der Stelle, wo er meint, dass wir immer noch in der Zeit der universellen Käuflichkeit, Künstlichkeit und Zerstreutheit lebten – lediglich das Vertragsdenken weiche stellenweise auf. Er zitiert Ulrich Beck:
„Heute werden die Menschen nicht mehr aus ständischen, religiös-kosmologischen Sicherheiten in die Welt der Industriegesellschaft, sondern aus der nationalstaatlichen Industriegesellschaft in die Turbulenzen der Weltrisikogesellschaft entlassen (Probst, Seite 89).“
Seit einigen Jahren – Ulrich Beck ist 2015 verstorben – vollzieht sich die Transformation dieser Weltrisikogesellschaft in einer Rasanz – man kann sagen in einer Art hektischer Agonie, die Beck (und Übrigen auch viele andere) vorausgesehen haben. Maximilian Probst selbst hat sie im Übrigen in die Formel gepackt: Umdenken oder untergehen! Dazu später mehr. Da geht es ja um alles! In der Auseinandersetzung mit der (Spät-)Moderne hingegen geht es ja nur um die Frage, „wie man sich allgemein zur Moderne positionieren kann". Maximilian Probst gibt aus seiner Sicht vier mögliche Antworten auf diese Frage: