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Wenn ich noch einmal Kind sein dürfte - Weihnachten 2023

Um den aktualisierten Beitrag zu Weihnachten 2023 aufzurufen, bitte die Überschrift anklicken! Die nachfolgenden Anmerkungen - insbesondere zum Interview mit Karin und Klaus Grossmann - sind als Einleitung zu verstehen.

Selten hat der Advent uns seine Unmittelbarkeit mit einer solchen Intensität vermittelt, wie in diesem Jahr. Warten wir doch nicht – wie Millionen Menschen – auf die Geburt des Jesuskindes, wie in jedem Jahr; erwarten wie vielmehr die Geburt unseres dritten Enkelkindes im ausgehenden Advent. Auch wenn seine Eltern nicht herbergslos sind und auf der Suche nach Beistand, erfasst uns (Großeltern) Unruhe neben froher Erwartung. 2004 hat Karla das Licht der Welt erblickt, 2016 ist Mathilde geboren worden, 2019 Leo und 2020 Jule. Ob das fünfte Urenkelkind Hildes noch 2023 oder erst 2024 das Licht der Welt erblickt, steht wahrlich noch in den Sternen. Hilde ist die Urgroßmutter, bei der so vieles zusammenläuft und von der so vieles ausgeht. Lisa heißt die andere Urgroßmutter bei Leo und bei Jule. Sie hat uns 2020 verlassen. Und Theo und Leo sind die Urgroßväter – zumindest bei Matti, bei Leo und Jule der erste (Theo) und bei Leo und Jule (auch) der zweite. Ihr merkt, wir schauen hier nicht mehr familienbezogen, sondern wir haben die Sippe im Blick. Denn der/die neue Erdenbürger(in) macht Annerose zum dritten Mal zur Oma wie posthum Hans Josef zum Opa.

Übers Großelternsein habe ich viel geschrieben – wie auch übers Elternsein. Und diese Woche (54/23, Seite 36) schenkt  uns die ZEIT in ihrer Gesprächsreihe (Forscherinnen und Forscher beantworten Fragen, die die Menschen bewegen) ein Gespräch mit Karin und Klaus Grossmann (81 bzw. 88 Jahre alt): Wie viel Nähe braucht ein Kind, Herr und Frau Grossmann? Hier einige Antworten aus 40 Jahren intensiver Bindungsforschung:

  • Eine Frage nach dem Verhältnis von Bindung und Entdeckerdrang: Karin Grossmann: „Diese Frage ist so wichtig! In der breiten Rezeption wird die Bindungstheorie nämlich oft aufs Engsein, auf die Nähe reduziert. Die feinfühlige Unterstützung der Eigenständigkeit des Kindes wird vergessen. Sie ist aber wesentlicher Teil einer gelungenen Bindungsbeziehung.“ Klaus Grossmann: „Bindungsforscher veranschaulichen die Wechselwirkung mit dem >Kreis der Sicherheit<. Die Bezugsperson dient dabei als sichere Basis, aus der heraus das Kind die Welt erkundet. Wenn nötig bietet sie Hilfe an. Ist das Kind überfordert, kann es jederzeit zurück zu ihr und findet Schutz wie in einem sicheren Hafen.“ Karin Grossmann: „Die Balance ist entscheidend. Wenn das Kind sich wehtut oder Beruhigung braucht, sucht es die Nähe. Ist es auf Entdeckerkurs, braucht es die Bindungsperson nur im Hintergrund. Sicher gebundene Kinder bewegen sich völlig selbstverständlich zwischen diesen beiden Polen hin und her.“
  • Verändert ihr eigenes Alter eigentlich den Blick auf ihr Forschungsthema? Karin Grossmann: „Für mich bestätigt sich immer mehr, wie bedeutend die frühen Bindungserfahrungen für das ganze Leben sind. Es gibt interessante Altersforschung, die zeigt: Wenn Eltern ihren Kindern eine sicher Bindung ermöglicht haben, kommt das im hohen Alter zu ihnen zurück, weil die mittlere Generation sich feinfühlig kümmert.“ Klaus Grossmann: „Mich interessiert immer stärker die gesellschaftliche Dimension. Ich sehe all die Probleme, die wir mit Extremismus, Antisemitismus, ja Menschenverachtung haben. Systematisch zu untersuchen, wie das mit vermeidendem Verhalten in der Kindheit korreliert, das würde mich reizen. Bowlbys Theorie war: Aggressivität resultiert aus einem nicht erfüllten Bedürfnis nach sicherer Bindung. Sie richtet sich aber nicht unbedingt gegen die Eltern, sondern sucht sich meist andere Ziele: fremde Menschen, die Gesellschaft.“
  • Was versteht man unter einer starken Bindung? Klaus Grossmann: In der Forschung sprechen wir von einer sicheren Bindung. Sie entsteht, wenn ein Kind sicher sein kann, es wird gesehen und gehört – und es wird ihm geholfen, wenn es Hilfe braucht.“ Karin Grossmann: „Ständige Einmischungen und Nörgeleien am Kind sind damit nicht gemeint.“ Klaus Grossmann: „Es gibt (eben im Gegensatz) unsichere Bindungen. Dazu zählt ein vermeidendes Verhalten, das entsteht, wenn ein Kind keine Schwäche zeigen darf und negative Gefühle mit sich ausmachen muss. Es lernt: Nur wenn ich etwas leiste, werde ich angenommen – und kapselt seine Nähebedürfnisse ab.“
  • In den siebziger Jahren haben sie die Bindungsforschung in Deutschland etabliert: Klaus Grossmann: „Damals beantwortete man die Frage nach der Nähe hierzulande noch anders: Babys sollten nicht verwöhnt werden, kleine Jungs nicht weinen, Kinder abgehärtete werden.“

Wer an der Kraft der Versöhnung nachhaltig zweifelt, weil im Verhältnis zu den eigenen Eltern vielleicht die eigene Wahrnehmung in erster Linie vermeidendes Verhalten der Eltern erinnert, dem mögen vielleicht die Hinweise und Phantasien des unterdessen über 90 Jahre alten Alexander Kluge hilfreich sein.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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