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Michael Kleeberg - Dämmerung oder Sonnenfinsternis?

So wie am 21. Juni eines jeden Jahres Melancholia – aus einem gleichermaßen naheliegenden wie individuell nachvollziehbaren Grund – das Zepter übernahm, so durchströmte mich am 21. Dezember eines jeden Jahres ein verhaltenes, gleichwohl belebendes Aufatmen. Der längste Tag und die längste Nacht begründeten ein homöostatisches Schwebegefühl; die Illusion einer Balance verbunden mit der Suggestion, in den unvorhersehbaren Wellenbewegungen im Ozean des Lebens übers ganze Jahr gesehen, doch ein vermeintlich erträgliches Gleichgewicht aufrecht erhalten zu können.

Dies ist seit dem 21. Dezember 2023 anders – so grundlegend anders, dass ich nun in der Gewissheit leben muss, die Sonne niemals mehr in meinem Leben zu erblicken. Gleich einem neuen Himmelsgestirn verdeckt seither – ganz offenkundig in einer noch kaum fassbaren Endgültigkeit - Michael Kleebergs Dämmerung die Sonne. Nur noch das schwache Leuchten der Korona nährt die Illusion, man habe es vielleicht doch nur mit einem zeitweiligen Ereignis, wie bei einer totalen Sonnenfinsternis zu tun. Am 21. Dezember 2023 las ich Kleebergs Epilog, mit dem Charly endgültig in den Glutofen des Krematoriums geschoben wurde, den Michael Kleeberg auf den letzten der 477 Seiten zu seiner endgültigen Betriebstemperatur hochfährt.

Es wirkt alles andere als tröstlich, wenn der Autor sein alter ego auch noch der Suggestion aussetzt, es sei ja nicht sein Ende, sondern es sei nur das Ende ihres gemeinsamen Weges. Auch dafür findet Michael Kleeberg, der uns einmal mehr von der unfassbaren Leichtigkeit des Schreibens träumen lässt, Worte, die uns das mit der Vollendung der siebten Dekade in so vielen Farben schillernde Blendwerk zu einem alle Nuancen verschluckenden Grau geraten lässt. Charly muss erkennen, das er „der Bohrmeißel war, der sein Leben in den Stollen der Zeit hineingefräst hat“ – nur um Michael Kleeberg die Gelegenheit zu verschaffen, „den Schutt und Abraum zu sortieren und zu entsorgen“ und, immerhin, die Edelsteine aufzusammeln, „die hier und dort dazwischen lagen“. Der 1959 geborene Michael Kleeberg erscheint – noch im selben Satz – dann irgendwie engelsgleich, wenn er meint, auch dies sei nur getan, um sich die Edelsteine ans Revers zu heften. Die Edelsteine erscheinen ans Revers drapiert. Und sie werden Michael Kleeberg überleben. Es sei hier konzediert, dass sie seinen Ruhm – schon zu Lebzeiten – begründen, uns allen zu zeigen, was Sprache in ihrer kunstvollsten Form vermag. Aber all dies lässt uns nicht darüber hinwegsehen, dass auch Michael Kleeberg sein eigenes Requiem – den Nachruf auf sich selbst (würde Harald Welzer sagen) – verfasst, wird er doch im Verlauf des kommenden Jahres die 65 vollenden. Da mag es wie eine Selbstbesänftigung anmuten, wenn er Charly ins Stammbuch schreibt:

„Ich meine, dreiundsechzig oder vierundsechzig ist kein Alter. Dein Vater ist fast siebenundachtzig geworden und hat bis circa achtzig auch noch fast ein vollumfängliches Leben geführt. (Obwohl, hätte man ihn gefragt, hätte er vielleicht zugegeben, dass es die Jahre nach dem Tod seiner Frau summa summarum nicht mehr gebraucht hätte.)“

Kleine Bemerkung am Rande: Da schrieb mir doch allen Ernstes ein Freund, dem ich seinerzeit die Vaterjahre nahegelegt hatte: „Vielen Dank, lieber Jupp, für die wunderbare Empfehlung! Habe inzwischen den dritten Band der Kleeberg-Trilogie fast durch, und ich bin begeistert.“ Entgeistert halte ich seiner Begeisterung zu Gute, dass er erst „fast durch ist“. Also hatte er natürlich den letzten Absatz auf Seit 471 auch noch nicht gelesen – allenfalls erlebt (aber nicht alles, was man erlebt, erreicht auf verlässliche und nachhaltige Weise auch den Präfrontalcortex – glücklicherweise sind wir ja Weltmeister der Verdrängung!):

„Und die Jugendlichkeitsfiktion, das Jugendlichkeitsbewusstsein deiner Generation, wie lange lässt sich das aufrechterhalten, bevor man vor der Evidenz des Alters die Waffen streckt? Wie lange noch bergwandern und Rad fahren und schlemmen und Alkohol trinken und viagraunterstützt einen Geschlechtsakt zum glücklichen Abschluss bringen? Bis siebzig? Manchen fällt es noch bis fünfundsiebzig leicht. Reisen und sich weiterbilden und (wenn vielleicht auch bei Kräutertee statt bei Barolo) seinen Hobbys frönen? Manchen gelingt das noch mit über achtzig. (Aber die endlosen Klagen dabei über die diversen Zipperlein, die alles langsamer, mühsamer und schwieriger machen als früher!) Also wie? Gut möglich, dass wir, Todeskampf und letztes Röcheln ausgespart, noch zwanzig weitere Jahre deines Lebens verfolgen könnten. Warum graut uns bei dem Gedanken? Oder nein, ehrlicher und vielleicht noch brutaler: Warum langweilt uns dieser Gedanke schlicht und einfach?“

Man merkt, dass die Langeweile Michael Kleeberg gegen Ende der 477 Seiten fulminanter Fremdbeobachtung erfasst. Er reißt sich Charly aus der Brust. Täte er dies nicht, würde es in der Tat noch sehr viel brutaler. Schließlich würde es fatalerweise irgendwann zu einer vollkommenen Kongruenz zwischen Charly und seinem Müllmann kommen. Davor hat auch ein Michael Kleeberg gewiss großen Respekt. Dieser Respekt gebührt ja einer Brutalität, von der auch der Kleeberg vermutlich nur mehr eine Ahnung hat.

Dazu eine weitere Randbemerkung mittendrin – mit Sven Kuntze. Er schreibt auf Seite 215 seines Alterns wie ein Gentleman: "Im Alter trennen sich häufig die sexuellen Biografien von Mann und Frau und, wenn es die Platzverhältnisse erlauben, auch die Schlafzimmer. Der Partner ist nachts unruhig, heißt es dann, ist fremd und anstößig geworden und erinnert an die eigene Vergänglichkeit. Die erloschene Begierde ihm gegenüber verursacht Unbehagen. Was einst Sehnsuchtsort gewesen war, ist trostlose Wüste geworden, die man unter allen Umständen meiden möchte. Es ist der Beginn einer 'erbarmungslosen Entsolidarisierung' der Männer von ihren gleichaltrigen Frauen, die freilich in alter Ehe ihre betagten Partner häufig auch nicht mehr begehrenswert finden. 'Es ist der Blick', versuchte eine alte Freundin, die in langer, oft ruppiger Ehe lebt, mir die Veränderung zu erklären. 'Mein Mann nimmt mich zwar als Gegenstand wahr, damit er nicht über mich stolpert wie über einen Putzeimer, aber sein Blick ist erloschen. Er ist nicht ohne Wärme, aber er gleitet an mir ab wie Tropfen an der Fensterscheibe. Das war mal anders. Damals hat er mich angeschaut, und in seinem Kopf übernahm die Fantasie mit aller Konsequenz die Macht. Jetzt bewirke ich nichts mehr in ihm. Ich bin ihm in dieser Hinsicht abhanden gekommen. Wir wissen allerdings, dass wir uns in schweren Zeiten aufeinander verlassen können. Das ist zwar nicht aufregend, aber nützlich und beruhigend. Über die Gründe seiner körperlosen Anhänglichkeit', fügte sie hinzu, 'will ich mir besser keine Gedanken machen.' Ob ihm jener Blick aus grauen Vorzeiten denn gänzlich abhanden gekommen sei? 'Nein, er hat ihn noch, und zwar bei jüngeren Frauen. Eigentlich tut er mir in diesen Momenten leid, denn die schenken ihm den gleichen Blick, wie er mir. Aber das bemerkt er nicht. Männer eben!'"

Sven Kuntze habe ich seinerzeit attestiert ein aufmerksamer Beobachter zu sein. Seine Würde und die seines jeweiligen Gegenübers habe vermutlich etwas zu tun mit der heilsamen und ganz und gar nicht selbstverständlichen Gabe (und Geste) der Diskretion - also der Haltung, die weiß und verinnerlicht hat, was sie nicht bemerkt haben soll. Wir altern ja - wenn wir ein Alter haben - gemeinsam. Auch mir entgehen die methusalemhaften Zärtlichkeitsgesten und -bekundungen nicht, die sich in gespitzten Lippen manifestieren, und die sich im Augenblick der Berührung auch schon wieder zurückziehen wie Schneckenfühler. Aber, lieber Sven Kuntze – so meine Beobachtung seinerzeit (das war 2011 – und ich war noch keine 60) – diese Gespreiztheit findest Du schon bei ganz jungen Verliebten - und das schon immer, es handelt sich nicht um coronabedingte Kollateralschäden!

Michael Kleebergs Todeskampf gewinnt endgültige Konturen erst auf den beiden letzten Seiten. Und wie sehr wird dabei unser aller Todeskampf in dieser Gesellschaft sicht- und spürbar – der Abgesang auf die alten, weißen Männer, die ins Nachkriegsdeutschland hineingeboren worden sind! Die Ingredienzien haben etwas zu tun mit der endgültig aufgezehrten Friedensrendite wie mit einer ins Unsägliche abgleitenden Debatte, die gemeinhin mit #metoo signiert wird. Ein gleichermaßen evolutions- wie zivilisationsgeschuldeter Diskurs mit Blick auf gesellschaftliche Entwicklungslinien wird uns alten, weißen Männern gegenüber schon im Keim erstickt. Die gesellschaftliche Vernichtung Charlys wird den einen Genugtuung vermitteln, so wie sie bei anderen – und dazu gehört offenkundig auch Michael Kleeberg – zu Teilen nur noch ein hilfloses Achselzucken auszulösen vermag (allein schon die Idee des pH… - post Heike… – legt hier schon eine toxisch verseuchte Fährte).

Wie sehr mich persönlich die Exzesse der metoo-Debatte anöden, habe ich in der Referenz auf einen anderen alten, weißen Mann etwas ausführlicher dargelegt – einhergehend mit der Verwunderung, dass dieser unterdessen 75jährige Zausel immer noch beachtlichen Zugang zur öffentlichen Debatte beanspruchen kann – gottlob (siehe dazu diesen Beitrag)!

Immerhin erfahren wir zum Schluss, wie Michael Kleeberg seinen Protagonisten Karlmann Renn summa summarum sieht:

„Schau, es hat immer eine Übereinstimmung gegeben zwischen dir und deiner Zeit. Von dir zu erzählen, hieß zugleich, Zeitgeschichte zu erzählen, den Zeitgeist zu spiegeln, und jede zeithistorische Ausführung warf ein erklärendes Licht auf dich. Du bist ein Kind dieser Zeit, ein Produkt dieser Zeit gewesen, auf nie wirklich reflektierte, problematisierte Weise, sondern in existenzieller Harmonie mit ihr (Hervorhebung FJWR).“

Welche Gnade – vor allem auch für uns –, dass Charly Michael Kleeberg zur Seite hatte. Wo hat man je auf so subtile wie ostentative Weise das mühsame Zusammenwachsen des geteilten Deutschland - hier unter dem Brennglas eines, wenn auch gescheiterten, so doch auch nachhaltigen deutsch-deutschen Eheprojekts beobachten können? Wo hat man je lesen können, wie empathisch und subtil es ein Vater versteht, sich in die Denk- und Fühlwelt der eigenen heranwachsenden Tochter einzufinden; ein unfassbares Bravourstück eines 1959 geborenen kinderlosen Kosmopoliten; derselbe Vater, der nach bodenloser wechselseitiger Vater- und Tochter-Vernichtung einen weiten Weg vor sich hat, um der eigenen Tochter wieder begegnen zu können.

Kleebergs von der WELT aufgegriffene Wortschöpfung des Erzählplasmas mag dabei im Sinne einer Unfigur oder einer Art literarischer Springteufel noch treffend seine osmotisch wirkende Erzählerhaltung beschreiben, die möglich macht, dass derselbe (Springteufel) – manchmal mitten im Satz (daher die unzähligen Klammersetzungen) – in Charly hinein- und hinausfährt, „ihn beschreibt, anspricht, kommentiert oder ausschweift in die Kulturgeschichte, ausbricht in Essays über Beziehungen, Fotografie, Hirnforschung, Soziologie, Automobilästhetik und so weiter und so fort“. In Dämmerung verändert sich dies. Und bevor Charly von Michael Kleeberg besitzt ergreift, sozusagen ihn okkupiert wie ein metastasierendes Krebsgeschwür, entledigt er sich seiner auf die brutalst mögliche Weise. Er lässt ihn weiterleben – wie auch immer – und lässt ihn um des eigenen Überlebens Willen sterben.

Mich selbst erfasst Schwindel, wenn ich bemerke, wie sehr der Hass Charlys auf Putin-Rußland mich affiziert. Aber sowohl bei diesem Furor, mit dem die Partei der Ukraine alternativlos scheint, als auch mit Blick auf die metoo-Debatte droht Kleeberg die Versuchung, das zu werden, was er Charly ins Stammbuch schreibt – nämlich so ganz und gar Kind und Produkt seiner Zeit zu sein „auf nie wirklich reflektierte, problematisierte Weise, sondern in existenzieller Harmonie mit ihr“. Und er bestätigt dies ja auch, indem er bekennt: „Und dasselbe gilt natürlich auch für die Stimme, die deine Geschichte erzählte.“

Also muss Charly abtreten, und der Erzähler nimmt mit tiefem Erschrecken zur Kenntnis, dass im Mai 2022 alle Harmonie dahingeht:

„Das hört sich harmlos an. Es ist der brutalstmögliche Bruch und Schnitt gewesen, deine Zeit hat dich regelrecht ausgespien, und uns hat das einen Keulenschlag über den Schädel versetzt, von dem noch die Frage ist, ob wir uns von ihm erholen können oder wollen.“

Lieber Michael Kleeberg, der pluralis majestatis nimmt uns alle mit ins Boot. Sowohl mit als auch in Abgrenzung zu Peter Sloterdijk, habe ich versucht die Frage zu beantworten, ob und vor allem wie wir uns vom Keulenschlag, der Charly – und offenkundig uns alle – ereilt, erholen können. Dass wir es wollen steht für mich außer Frage. Aber die Fragmentierung der Gesellschaft wird einmal mehr befördert, wenn wir uns dem Pendel der Geschichte wirklich mit Vernunft und Argumenten entgegenstellen.

Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich bekannt, dass Michael Kleebergs Dämmerung gleich einem neuen Himmelsgestirn die Sonne seit dem 21. Dezember verdeckt – und dies ganz offenkundig in einer noch kaum fassbaren Endgültigkeit. Nur noch das schwache Leuchten der Korona nähre die Illusion, man habe es vielleicht doch nur mit einem zeitweiligen Ereignis, wie bei einer totalen Sonnenfinsternis zu tun. Was mach ich denn nun, sollte sich (auch) dieser Keulenschlag tatsächlich als nachhaltig erweisen? Die Antwort liegt auf der Hand bzw. in Michael Kleebergs Buch. Ich schlage fortan – immer wenn der Blinde sehend und der Taube hörend werden will – die Seite 183 der Dämmerung auf und lese und lese und versinke im schönsten Frühling, an den man sich je erinnern wird. Auf Seite 190 wache ich auf und frage mich, ob ich geträumt habe. Ich werde hier keinen weiteren Beleg anfügen für die Feinheiten und ein schier für unmöglich gehaltenes Sprachwunder, mit dessen Hilfe Natur zu sich selbst und wir zur Natur kommen – auch wenn es nur eine Natur ist, die sich Heikes grünem Daumen verdankt. Vielleicht besinnt sich ja Charly in seiner neu gewonnenen Freiheit und das pH löst sich noch einmal auf in ein schlichtes H - hic et nunc?

 

Michael Kleeberg hat am 27.12.2023 um 14:46 Uhr auf diesen Text geantwortet. Ich füge seine mail hier an, weil sie eine kleine Korrektur enthält, die mich persönlich ein wenig tröstet. War ich doch in meiner Würdigung der Vaterjahre einfach fassungslos, dass es jemandem gelingen könnte sich auf eine so einfühlsame und tiefschürfende Weise mit der Denk- und Fühlwelt eines sechs- oder siebenjährigen Mädchens auseinanderzusetzen, der keine eigenen Kinder großgezogen hat! Michael Kleebergs Wikipedia-Eintrag weist keine Vaterschaft aus (die Beiträger recherchieren ja ansonsten akribisch). Nun teilt er mir mit: "Kosmopolit ja [...] aber kinderlos: das zum Glück nicht!" Beruhigt kann ich nun feststellen: Michael Kleeberg ist ein Mensch aus Fleisch und Blut und kein engels- oder teufelsgleiches Wesen. Ich füge eine klitzekleine Kostprobe aus den Vaterjahren an, die mich - einen glücklichen Vater und Großvater - seinerzeit so sehr berührt hat (die Anmutung rührt vermutlich daher, dass Kleeberg hier den Vater mit seinen Ängsten in der Vordergrund rückt - wer Luisa erleben will, der lese, lese Kleebergs Vaterjahre von Anfang bis Ende - und damit klar ist, dass Kleeberg keinerlei Begabung für Verzuckerung hat, anschließen natürlich die Dämmerung):

"...Vielleicht ist es ja gar keine Angst. Vielleicht beginnt einfach, wenn man Kinder hat, die Vergänglichkeit sichtbar zu werden, und der feine Sand des Lebens rieselt aus der Schale deiner Hände, die doch fest verschränkt sind und hermetisch geschlossen scheinen. Aber wenn es das Bewusstsein der Vergänglichkeit ist, dann nicht das der eigenen. Die Angst vor dem eigenen Tod, selbst dem >vor der Zeit<, der eintritt, bevor man erreicht und erlebt hat, was man erreichen und erleben wollte, ist geringer geworden, seit die Nachfolge geregelt scheint. Kaum zu glauben, aber es ist ein versöhnlicher Gedanke geworden, dir eine Welt ohne dich vorzustellen, solange es nur eine Welt mit deinen Kindern ist. Auch ist es nicht die Sterblichkeit der Kinder an sich, die dir Angst macht. Solange sie dich nur überleben. Danach ist es gewissermaßen ihr Problem. Was natürlich doch nur bedeutet, dass du Angst vor dem grauenerregenden schwarzen Loch hast, und das DU fielest wie hinab in die Hölle, stieße ihnen etwas zu." (S.23f.)

Michael Kleeberg antwortet folgendermaßen:

Lieber Herr Witsch-Rothmund,

was für ein schönes Weihnachtsgeschenk, Ihr Text über meinen Roman! Ich danke Ihnen dafür sehr ernst, denn solche Zeugnisse sind es (und nicht die Riemen der professionellen Rezensenten), die einem das Gefühl geben, seine Zeit und seine Gaben nicht vertan zu haben, und das ist in einem Leben, dessen Eigenwert durch die Arbeit kommt - oder eben nicht kommt - und in einer Arbeit, die nicht in erster Linie Broterwerb ist, sondern Dingfestmachung dieses Lebens, der einzige Gradmesser und die einzige wichtige Belohnung.

Aber diese netto 12 Jahre Arbeit an rund 1500 Seiten, verteilt auf ca 20 Lebensjahre, lassen mich tatsächlich auch ein wenig ermüdet zurück. Man fragt sich eben (wobei ich mich das nach jedem Buch bisher gefragt habe), was da eigentlich noch kommen soll, ob man nochmal die Kräfte so anspannen kann und ob einem nochmal Zeit geborgt wird. Ich glaube - toute proportion gardée - Thomas Mann hat sich nach dem Faustus so gefühlt; sicher daß er das Letzte große ihm gegebene geschaffen hatte. Immerhin kamen dann noch der Erwählte und der von ihm selbst zu Unrecht geringgeschätzte Krull. Aber das war eben auch Thomas Mann...

Was mich betrifft, weiß ich noch nicht, wozu jetzt wirklich Lust aufbringen, weiß nur, daß ich mich mit unmittelbarer deutscher Gegenwart erstmal nicht mehr, und wenns nach mir geht, am liebsten überhaupt nicht mehr beschäftigen will.

Jedenfalls ist es jetzt, in der Dämmerung des Jahres, ein schöner Gedanke, daß da draußen Menschen sitzen, die mein Buch mit Gewinn und Genuss lesen. Übrigens am Rande kleine Korrektur: Kosmopolit ja - in gewisser Hinsicht (obwohl ich eigentlich ein rechter Stubenhocker bin), aber kinderlos: das zum Glück nicht! Habe eine 23 jährige Tochter, die mir viel Freude macht - keine Luisa! Aber dann bin ich ja auch kein Charly...

Ihnen einen guten Rutsch und ein gesundes Neues Jahr, Ihr

Michael Kleeberg

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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