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Hommage à Enzensberger -

für einen Jugendfreund, den ich spät wiederfand, um ihn sogleich wieder zu verlieren(:-(

Hans Magnus Enzensberger verdanke ich viel. Er leistet(e) einen gewichtigen Beitrag, Wladimir Putin als Widergänger Hitlers zu entlarven.

In seiner Hommage à Gödel stehen Sätze, die sich gewiss zur Übernahme ins Langzeitgedächtnis empfehlen. Damit dies plausibel wird, zunächst die gesamte Hommage:

Hommage à Gödel

Münchhausens Theorem, Pferd, Sumpf und Schopf,
ist bezaubernd, aber vergiss nicht:
Münchhausen war ein Lügner.

Gödels Theorem wirkt auf den ersten Blick
etwas unscheinbar, doch bedenk:
Gödel hat recht.

>In jedem genügend reichhaltigen System 
lassen sich Sätze formulieren,
die innerhalb des Systems 
weder beweis- noch belegbar sind,
es sei denn das System
wäre selbst inkonsistent.<

Du kannst deine eigene Sprache
in deiner eigenen Sprache beschreiben:
aber nicht ganz.
Du kannst dein eigenes Gehirn
mit deinem eigenen Gehirn erforschen:
aber nicht ganz.
Usw.

Um sich zu rechtfertigen
muß jedes denkbare System
sich transzendieren,
d.h. zerstören.

>Genügend reichhaltig< oder nicht:
Widerspruchsfreiheit
ist eine Mangelerscheinung
oder ein Widerspruch.

(Gewißheit = Inkonsistenz)

Jeder denkbare Reiter,
also auch Münchhausen,
also auch du bist ein Subsystem
eines genügend reichhaltigen Sumpfes.

Und ein Subsystem dieses Subsystems
ist der eigene Schopf,
dieses Hebezeug
für Reformen und Lügner.

In jedem genügend reichhaltigen System,
also auch in diesem Sumpf hier,
lassen sich Sätze formulieren,
die innerhalb des Systems
weder beweis- noch widerlegbar sind.

Diese Sätze nimm in die Hand 
und zieh!

 

Das "Hebewerkzeug" tut gut daran, sich selbst zu misstrauen. Daran tun alle Beobachter gut - auch Beobachter der Gesellschaft. Die habe kein Zentrum mehr, und eine objektive Selbstbeobachtung/Selbstbeschreibung der Gesellschaft sei aussichtslos, meint Niklas Luhmann und die, die ihm nachdenken. Es gibt keinen Ort (der Link führt zu dem Beitrag: Gebrauche niemals den Impertiv!) innerhalb und außerhalb der Gesellschaft, von dem aus ein solches Unterfangen aussichtsreich und möglich sei (siehe dazu den aussichtslosen Versuch Jürgen Habermasens, Luhmann zu widerlegen). Aber wie verhält es sich mit den von Hans Magnus Enzensberger erwähnten Inkonsistenzen? Reklamiert jemand, wie Wladimir der Große Vernunftgründe für sein Begehr und sein Handeln, so können wir doch zumindest sehen - an den Wundmalen seiner Opfer -, dass die Diktatur des Proleten grüßen lässt. Konsistenz im eigenen territorialen Geltungsbereich erreicht man durch Beseitigung von Inkonsistenzen - und seien sie  selbst noch von gleichem Geblüt: Vor aller Augen stürzt Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin in den Sumpf, während Alexei Anatoljewitsch Nawalny - von langer Hand gemeuchelt - noch immer Zeichen setzt; Zeichen im Spiel der konsistenten Bereinigung von Inkonsistenzen.

Vielleicht ist der Blutzoll das wahrhafte Indiz für den Lug und den Trug, die Autokraten und Gewaltherrscher jedweder Couleur enttarnen. Er - der B l u t z o l l - schreit uns ins Gesicht. Jedenfalls hat Hans Magnus Enzensberger hiefür eine treffliche Analyse gelieferet - scharfsinnig und gnadenlos, wie es seinem Schopfe immer wieder auf so unvergleichliche Weise gelang:

Für alle, die zu bequem sind, Links zu öffnen:

Putin - Hitlers Wiedergänger - dies gilt erst recht nach einem Jahr seines anhaltenden Terrors gegen die Ukraine - erneut der Hinweis auf Putins Stigma als Kriegsverbrecher!

Es ist schockierend und faszinierend zugleich, erkennen zu müssen, mit welch radikaler und nachhaltiger Konsequenz Putin im Laufe der Jahrzehnte in die Rolle des Wiedergängers Hitlers hineinwächst. Der Faschistenjäger Putin mutiert zum Wiedergänger Hitlers par excellence. Der Autor der nachfolgenden Überlegungen, Hans Magnus Enzensberger ist am 24. November 2022 in München verstorben. Ob er die schier unglaubliche Kongruenz zwischen seinen Thesen  und der Mutation Putins zum wahren Wiedergänger noch realisiert hat, vermag ich nicht zu beurteilen. 1991, als seine Überlegungen im SPIEGEL abgedruckt wurden, hatte er Saddam Hussein als Wiedergänger Hitlers im Blick - Wladimir Putin war noch ein namenloser KGB-Agent.

Liest man seine folgenden Auslassungen, wird einem Angst und Bange, denn - wie Enzensberger betont -, mit den normalen Kategorien und Mitteln der Politik lassen sich die Wiedergänger Hitlers nicht verstehen und erst recht nicht einbinden in international verbindliches Recht, besiegelt durch Verträge und dem Willen zum Kompromiss:

  • Er kämpft nicht gegen den einen oder anderen innen- oder außenpolitischen Gegner; sein Feind ist die Welt. Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäre Antrieb; Objekte Anlässe, Gründe werden gesucht, wo sie sich finden. Wer bei der Vernichtung zuerst an die Reihe kommt […] hängt nur von den Gelegenheiten ab (1).
  • Der Todeswunsch ist sein Motiv, sein Modus der Herrschaft ist der Untergang (2).
  • Die Parallele zu Hitler ist evident. Auch dem deutschen Führer ging es nicht darum, den ein oder anderen inneren oder äußeren Gegner zu besiegen. Er war nicht nur der Todfeind der Juden […], sondern letzten Endes auch der Deutschen. Nennen wir ihn also, ohne dämonisierende Absicht und eher deskriptiv, einen Feind des Menschengeschlechts (3).
  • In die Geschichte kann ein Hitler […] nur dadurch eintreten, daß ein ganzes Volk  sein Kommen herbeiwünscht (4).
  • Die Nachwelt war jahrzehntelang damit beschäftigt, sich das Verhalten der Deutschen zu erklären (5).
  • Die Bedingung dafür, daß er Anhänger findet, die sich nach dem Untergang sehnen, ist das Gefühl einer langandauernden kollektiven Kränkung, die das Selbstwertgefühl von Millionen bis auf den Grund zersetzt (6).
  • Wenn ein Kollektiv keine Chance mehr sieht, seine – reale und imaginäre – Erniedrigung durch eigene Anstrengungen wettzumachen, bietet es seine ganze psychische Energie auf, um unermeßliche Vorräte an Haß und Neid, Ressentiment und Rachsucht anzulegen. Es fühlt sich als Spielball und Opfer der Verhältnisse und leugnet jede eigene Mitverantwortung für die Lage, in der es sich befindet. Die Suche nach dem Schuldigen kann beginnen (7).
  • Dann ist die Stunde des Führers gekommen. Der Feind der Menschheit kann sich mit der gesammelten Todesenergie der Massen aufladen. Er wird dabei eine Fähigkeit an den Tag legen, die an das Geniale grenzt: den unfehlbaren Spürsinn für die unbewußten Regungen seiner Anhänger. Deshalb operiert er nicht mit Argumenten, sondern mit Emotionen, die jede Logik aus den Angeln heben (8).
  • Sein Projekt wird nicht durch Ideen, sondern durch Obsessionen vorangetrieben […] Die Paranoia, die sich reale Vorgänge nur durch Verschwörung und Verrat erklären kann, ist somit keine individuelle Krankheit des Führers, sondern die Voraussetzung seines Agierens und des Echos, das er findet (9).
  • Die ideologischen Attrappen sind beliebig austauschbar. Inhalte sind dem Führer gleichgültig. Das erlaubt ihm auch, seine Feinde jederzeit zu wechseln. Hitler konnte den Bolschewismus zum Todfeind, zum Verbündeten und wieder zum Todfeind erklären, ohne daß ihm das in den Augen seiner Anhänger geschadet hätte (10).
  • Die Pazifisten haben recht, wenn sie sagen, […] die Politik habe versagt. Das war im Falle Hitlers nicht anders. Damals wie heute hat die Welt lange Zeit nicht begreifen wollen, womit sie konfrontiert war. Man begegnete ihm lange mit den normalen Mitteln der Politik und vertraute darauf, daß es um Interessenkonflikte ging, die es zu lösen galt (11).
  • Ein solches Verhalten setzt aber stillschweigend voraus, daß alle Beteiligten an ihrem Überleben interessiert sind. Mit dieser Vermutung hat die Welt Hitler gründlich verkannt. Er allein wußte, was er wollte: ein Ende mit Schrecken. Was der Außenwelt als Realitätsverlust erschien, war nur die Entschlossenheit, dieses Ziel mit allen Mitteln zu verfolgen (12).
  • Daher konnte Hitler die Bereitschaft, zu verhandeln, nur als Schwäche deuten; die Idee der Gegenseitigkeit war ihm unverständlich; Kompromisse erfüllten ihn mit Ekel, vertragliche Lösungen mit Verachtung; und auf Konzessionen reagierte er, da sie ihn bei der Verfolgung seines Endzieles störten, mit Wut (13).
  • Keine denkbare Politik, wie klug wie umsichtig sie auch wäre, kann es mit einem solchen Feind aufnehmen. Er bekommt am Ende immer, was er will: den Krieg. Darin, daß es ihm gelingt, die ganze Welt, seine Anhänger nicht ausgenommen, als Geisel zu nehmen, liegt sein Triumph. Noch im eigenen Krepieren wird ihm der Genuß zuteil, daß er Millionen dazu gebracht hat, vor ihm zu sterben (14).
  • Ewige Verlierer gibt es in allen Himmelsrichtungen. Unter ihnen nimmt das Gefühl der Demütigung und die Neigung zum kollektiven Selbstmord mit jedem Jahr zu […] In der Sowjetunion liegt dafür das nukleare Arsenal bereit (15).
  • Woran Hitler gescheitert ist, am Endsieg, das heißt an der Endlösung – seinem nächsten Wiedergänger könnte sie gelingen (16).

Es bleibt die vage Hoffnung, dass Wladimir Putin sich wenigstens in dem einen Punkt von seinem Vorbild unterscheiden möge, und dass ihn (und sein Umfeld) die Neigung zum kollektiven Selbstmord doch eher abschreckt als verlockt. Hans Magnus Enzensberger hat die vorstehenden Thesen, Annahmen und Einsichten am 4. Februar 1991 im Spiegel veröffentlicht (Nachdruck in: ZICKZACK, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1997, Seite 79-89). Er hatte damals Saddam Hussein im Visier - Wladimir Putin war noch ein namenloser KGB-Agent. Obwohl Enzensberger Carl Schmitt nicht erwähnt, sollten wir spätestens heute erkennen, dass der Kronjurist der Nazis mit seiner dichotomen Freund-Feind-Ideologie (die Aufteilung eines Systems, einer Struktur oder eines Sachverhalts in zwei Teile, zwischen denen keine Schnittmengen existieren) auch Widergängern, wie Wladimir Putin die ideologischen Versatzstücke für ihre aberwitzige, eben radikal menschenverachtende Politik in ihre Stammbücher schreibt -

leider, wie ich heute einsehen muss - nicht in die Stammbücher der  h e i l l o V e r w i r r t e n (tragisch, dass es auch alte Weggefährten treffen kann) (:-(

Für die heillos Verwirrten mit Niklas Luhmann noch ein kleiner Nachschlag zu BluBo und BrauSi (Abkürzung zu "Blut und Boden" bzw. "Brauchtum und Sippe" - eine Wort- bzw. Buchstabenspielerei, die sich eben jenem Niklas Luhman <1927-1998> verdankt).

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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