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Dietmar Kampers Traumbuch und Klaus Theweleits Männerphantasien

Hier entsteht ein neuer Beitrag - just in time. Ja es ist durchaus reizvoll, mir selbst dabei zuzuschauen, wie ich für mich Schneisen schlage in eine Welt, in der mehr und mehr und wieder mehr denn je Idioten hervortreten und neben öffentlichen Schlagzeilen auch den öffentlichen Raum beherrschen wollen. Was sich gestern und seit Wochen - eigentlich seit Jahren in deutschen Fußballarenen ereignet, deutet auf etwas hin, was in den hilflosen Statements der Funktionäre unterbelichtet bleibt.

In den Blick nehme ich die sprachlosen, aufgeblasenen Horden nicht nur der Fußball-Ultras, sondern gleichermaßen die aufgeblasenen Glatzenträger, hinter deren Schädelkalotten sich genausowenig Hirn verbirgt, wie auf ihren Köpfen Haare in Erscheinung treten. Besonders ins Fadenkreuz politisch notwendiger Stigmatisierung geraten allerdings jene Ideologen, die sich dazu berufen sehen, den Horden Sprache zu geben und die Richtung zu weisen.

Die Richtung lässt sich reduzieren auf das, was Zygmunt Bauman die "kategoriale Auschließung" und Ausgrenzung von Menschen mit bestimmten Merkmalen nennt - diese Unterscheidung sprengt im übrigen jedes Links-Rechts-Koordinatensystem; es meint die Allianz der Hass-Akteure jeder Couleur, die mit Hass im schlimmsten Fall kategoriale Ausschlussphantasien verbinden, die von totalitären Regimen immer wieder in konkrete Politik übersetzt werden - bis hin zum Holocaust der Nazis und dem Genozid als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln.

Da ist das Fadenkreuz, in dem Dietmar Hopp erscheint, in der Tat die authentischste und brutalste symbolische Geste, mit der das Gehasste, das Fremde, der Elemenierung ausgesetzt werden soll. Aber dazu habe ich mich in vielen Beiträgen bereits geäußert. Eine gleichermaßen seriöse wie differenzierte Analyse der Hintergründe des Abdriftens in dumpfe, durch ihre Geschichtsmächtigkeit desavouierte Niederungen hat sich bislang davor gescheut, jene fundamentalen Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, die den Humus bereiten für rassistische, sexistische Weltbilder, die alles verachten, was typischerweise als weiblich und schwach gilt. Letztere Formulierung ist Antonia Baum (ZEIT, 10/20, S. 51) entlehnt: Zu wenig Körperkontakt - Warum werden Männer zu rechten Gewalttätern. Ich werde auf Klaus Theweleits "Männerphantasien" bzw. den erwähnten ZEIT-Artikel noch zurückkommen und verzeihe mir zunächst einmal den nun folgenden, gewagten Ausflug in die Welt eines Moribundus, dessen "Körper-Denken" Träume gebar, die er noch schriftlich niederlegen konnte.

Kurze Einlassung aus aktuellem Anlass: Bei alledem ist mir durchaus bewusst, dass die konstruierten Zusammenhänge sich nicht wie ein offenes Buch anbieten. Auffällig ist allerdings, dass wir doch mehr oder weniger hilflos danach fragen, was fanatisierte, dumpfe und meist irrational daherkommende antidemokratische und totalitär gesinnte Haltungen ausmacht und begründet. Grundsätzlich handelt es sich ja um sogenannte Weltbeschreibungen erster Ordnung (hier 8. Absatz)!!! Vor wenigen Minuten habe ich den Sportsoziologen Gunter A. Pilz im Deutschland-Radio angehört, als er darauf aufmerksam machte, dass DFB und DFL erst jetzt nach den neuerlichen Attacken auf Dietmar Hopp zu radikalen Maßnahmen griffen, während bei rassistischen Übergriffen eine ebensolche Konsequenz nicht erkennbar sei. An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass ich nicht bereit bin, hier zu unterscheiden: Alle Formen von Hass - ob verbal oder visuell - (und es ist mir schnuppe, wo Hassattacken in einen Links-Rechts-Koordinatensystem zu verorten sind), gehören geahndet, meinetwegen durch lebenslanges Stadionverbot. Und noch einmal. Das Konterfei Hopps im Fadenkreuz ist eine Aufforderung zur Gewalt. Nach all den Vorkommnissen der letzten Monate darf es hier keine Toleranzgrenze geben! Dies muss Vollidioten wie der Münchner Schickeria oder auch den Dortmunder Vollspackos unmissverständlich signalisiert werden.

Ich mache diese Anleihe bei Dietmar Kampers Traumbuch:

Das Traumbuch (cover) - ein schönes Buch, 114 Seiten dünn, Paperback; Summery auf dem Rücken - weiß invertiert. Das Cover: oben links: DIETMAR KAMPER - und darunter rot-rosa-verblassend auf weißem Wolkensockel das  T R A U M B U C H  mit hauchdünnem schwarzen Trauerflor. Fast zentriert, etwas linkslastig sitzt Ditmar Kamper an einem monumentalen, steinernen Tisch. Die schwere Granitplatte ruht auf einem breiten, sich nach unten hin verjüngenden Sockel. Kamper sitzt - nein ich glaube, er steht - abgeklärt, ruhig, die Hände übereinander gefaltet hinter diesem gediegenen, mächtigen und doch filigran wirkenden Basaltmonument. Er schaut mich an, das heißt, er blickt in die Kamera, die ihn für die Ewigkeit bannt im Augenblick des Übergangs. Wüsste man nicht, was einen erwartet - 2012, 11 Jahre nach Kampers Tod - könnte man meinen, hier sammelt sich jemand für einen großen Auftritt. Ja, Kamper wirkt gesammelt, abgeklärt - wie jemand, dem man nichts mehr vormachen kann. Dass der Übergang bereits im Gange ist, dass Schmerz und Trauer sich nähern und Atem holen, dafür spricht die winterliche Birke, die wie ein Schattenriss mit nur ganz spärlichen Aufhellungen rechts unten aus dem Dunkel ins Bild wächst; ihre kahlen, entlaubten Äste hängen wie eine Art Trauerflor über Dietmar Kampers Traumbuch. Das Traumbuch selbst, das heißt seine ikonografische Zeichensprache entlässt den Betrachter in eine jenseitige Helle, indem der Silberstreif, auf dem die 9 Zeichen aufruhen, quer zur Birke und gänzlich parallel zum steinernen Monument der Tischplatte das Cover einteilt im Verhältnis 1:2. Das mittlere Drittel gehört Dietmar Kamper, wie er offenkundig leibte und lebte. Schwarz in Leder gewandet bilden Kopf und Hände einen komplementären Spannungsraum. So schaut er uns an - vielleicht auf Zuruf und dennoch entrückt. Alles ist getan! Die Hände haben sich ergeben und ruhen, die eine die andere bewahrend auf festem Grund. Kampers Gesichtszüge wirken gleichermaßen entspannt wie gereift in einem zehrenden - wie er selbst bekennt -, arbeitsreichen Leben. Ob er, der die Geschichte des Körpers erforschte - ein körperbewusster Mensch war? Das kann ich nicht wissen. Nur soviel wird zu Beginn schon klar, dass dem Leben das Leben nicht quer kommen sollte: "Zuletzt war ich zwischen dem 15.4.1980 und dem 7.3.1983 bei R. in Behandlung. Danach nie mehr beim Arzt." Das schreibt Kamper im Juni 2000 nach der Diagnose "Darmkrebs mit Lebermetastasen".

Den Kontakt zu sich selbst und zu seinem Körper verliert man möglicherweise bereits in der biografiegeschichtlichen Frühzeit, so dass man als egghead nach der finalen Diagnose nur noch resigniert konstatieren kann: "Ein Opfer nach so langer Zeit von den Instanzen der Herkunft, der Abstammung erzwungen? Oder ein Opfer des rachsüchtigen Berufs, den ich 17 Jahre auf Distanz gehalten habe?" Sieht man so jemandem nach, dass er zu radikalen Schlussfolgerungen gelangt, die er reuevoll für Einsichten hält, indem er betont: 

"Noch einmal: Der große Verlierer dieser Geschichte des abendländischen Menschen ist der Körper."

Hier ist Kamper vielleicht noch der Soziologe und noch nicht auf dem Weg. Zuletzt äußert er in einer hilflosen Geste uns vielleicht zur Mahnung:

"Was mir in Zeiten des entfernten Körpers immer unwahrscheinlicher und immer notwendiger vorkommt, ist die Berührung: Leben des Körpers heißt nichts anderes als Berührtwerden, als Berühren."

Klaus Theweleits "Männerphantasien" stehen im Mittelpunkt des oben erwähnten ZEIT-Artikels von Antonia Baum. Im Verlauf ihrer Ausführungen kommt es zu folgender Passage:

"Würde man einen Menschen als Baby und Kleinkind anbrüllen oder gar schlagen und würden dessen Bedürfnisse nicht adäquat beantwortet, etwa indem man es schreien lässt und ihm zu wenig Körperkontakt gibt (also exakt das, was auch die Top-Nazi-Pädagogin Johanna Haarer den deutschen Müttern empfahl und deren Tipps noch lange nach 45 befolgt wurden), dann ziehe es sich zurück und baue keine Beziehungen auf." Und die Mütter?

 

"Wir brauchen Mütter, die im Schoße tragen

Ein hart Geschlecht, das wie aus Erze geschweißt

Und ohne Knechtsinn und bänglich zagen

Sich kühn den Weg zum neuen Aufstieg weißt.

Wir brauchen Mütter, die nicht abseits stehen,

Wenn blonde Söhne ruft der Kampfesschall,

Die schützend im Gebet zur Seite gehen

Und segnend Hände breiten überall.

Wir brauchen Mütter, die da opfernd geben,

Was sie genährt mit ihres Leibes Blut.

Und wenn der Wunde tiefste schlug das Leben

Sich selbst verströmen in der Liebe Glut."

 

Antonia Baum arbeitet nun mit Klaus Theweleit die zentrale Argumentationsfigur heraus, nach der es bei alledem um die Konsequenzen eines Nicht-zu-Ende-geboren-Seins gehe. Statt Beziehung werde ein Panzer ausgebildet, um realitätstüchtig zu werden und das angsterfüllte, instabile Innere im Zaum zu halten. Theweleit dazu:

"Dadurch kann die Ich-Struktur nicht entstehen, also dass ich weiß, wo ich anfange und wo ich aufhöre. Deswegen findet der soldatische Mann Drill und Hierarchien so wichtig. Weil sie ihm Körpergrenzen verpassen. Er muss wissen, wo oben und unten ist, und wenn sich da was ändert, fühlt er sich bedroht, und im schlimmsten Fall fordert er, dass das, wovon er sich bedroht fühlt, entfernt wird. Und aus diesem Grund sage ich, Faschismus ist primär keine Ideologie, sondern ein Körperzustand. Die Ideologie ist Schwachsinn und als solcher nur aufgeklebt."

Wie kommt Klaus Theweleit zu dieser Annahme: Er hat die schriftlichen Erzeugnisse von Freikorpssoldaten aus den 1920er-Jahren untersucht. Dazu greift er auf literaturwissenschaftliche Unterscheidungen sowie auf Erkenntnisse der Kinderpsychoanalyse zurück. In einem knappen Überblick fasst Antonia Baum Theweleits Erkenntnisse zusammen:

"Theweleit fiel die durch und durch angstbesetzte Wahrnehmung des 'anderen Geschlechts' der Freikorpsmänner auf, die Frauen nur denken konnten als Huren, Mütter oder 'weiße Krankenschwestern', wobei die 'reinen', entsexualisierten Frauen als Beschützerinnen Deutschlands wider  die rote Flut (Kommunismus) imaginiert wurden, während die 'Spartakistenweiber' umgelegt und kaputt geschlagen werden sollten."

Antonia Baum las als Studentin in den "Männerphantasien" - eine Erstausgabe aus den Händen ihrer Mutter - und stieß auf eine unbekannte Art und Weise, über Faschismus zu sprechen:

"Was ich las, kannte ich aus einem Teil der Familie, und darüber sprach dieser Teil garantiert nicht: Nicht über die Brutalität und Gnadenlosigkeit insbesondere der Männer gegenüber ihren eigenen Körpern auch in der zweiten Nachkriegsgeneration. Nicht über das 'Was dich nicht umbringt, macht dich nur noch härter', die Aufforderung mit dem Geflenne aufzuhören, die Begeisterung für einen Körper, der wie ein Instrument einsetzbar ist, und natürlich die Verachtung für alles, was typischerweise als weiblich und schwach gilt."

Beiläufig erwähnt Antonia Baum, dass der Berliner Verlag Matthes & Seitz die "Männerphantasien", ergänzt um ein Nachwort des Autors) neu auflegt und bemerkt ihrerseits - um eine angemessene Kontextualisierung bemüht - dazu:

"Das Buch sei 'so aktuell wie nie' steht in der Neuausgabe, was insofern stimmt, als sich gerade etwa alle drei Monate ein Mann entschließt, andere Menschen aus rassistischen, antisemitischen Motiven zu ermorden. Zum Zeitpunkt des Terroranschlags in Hanau war dieser Text (für die ZEIT, Anm. WR) lange fertig, es hat also praktische Gründe, dass hier das antisemitische Attentat in Halle im Vordergrund steht, bei dem ein Mann loszog, um gezielt Juden umzubringen. Dabei bezog er sich auf die Verschwörungstheorie, eine 'jüdische Finanzelite' habe sich den Feminismus ausgedacht, um Frauen am Kinderkriegen zu hindern, was wiederum 'Massenimmigration' zur Folge habe. Jener Tätertypus, so Theweleit, setze die Landesgrenzen mit Körpergrenzen gleich. Aus genau diesem Grund tobe im Zentrum aller männlich-terroristischen Attentate der jüngsten Vergangenheit eine mörderische Antiweiblichkeit: Frauen weigern sich Kinder zu bekommen, oder haben zu schwache Herzen , um Migranten abzulehnen. Vielleicht ist es das, was Theweleit meint, wenn er sagt, die Ideologie sei bloß draufgeklebt: 'Es ist beliebig, wen der üblichen Verdächtigen sie verantwortlich machen für den Niedergang der Gesellschaft."

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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