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Neues zu Phase V, die Detlef Klöckner im besten Fall als Fürsorgliches Finale versteht

Detlef Klöckners "Phasen der Leidenschaft - Emotionale Entwicklungen in Paarbeziehungen", Stuttgart 2007 (Klett-Cotta - ISBN: 978-3-608-94432-7) begleitet mich seit 2007.

Meinen Blog (www.fj-witsch-rothmund.de) gibt es erst seit zehn Jahren. Den nachstehenden Beitrag habe ich bereits 2016 veröffentlicht. Beim Überfliegen dieses Beitrags werde ich unmittelbar damit konfrontiert, mit welcher Rasanz sich auch die eigene lebenslaufbezogene Dynamik vollzieht. Vielleicht war es 2016 noch zu früh von einem Fürsorglichen Finale zu reden. Unterdessen – ich bin gestern 72 Jahre alt geworden – tritt ganz selbstverständlich das ein, was mit diesem Beitrag bereits 2016 thematisiert wurde: Der Zwang und die Notwendigkeit Alter und Altern auch in den Mittelpunkt eigener Reflexionen zu stellen, ergab sich seinerzeit noch aus der Tatsache, dass wir soeben die Schwiegermutter in den eigenen Haushalt integriert hatten. 2020 ist meine Schwiegermutter – fast 97jährig im örtlichen Pflegeheim verstorben. Allein diese Tatsache offenbart einen radikalen Wandel innerhalb kürzester Zeit. Den Versuch, Liesel, die Mutter meiner Frau, in den eigenen Haushalt aufzunehmen und zu integrieren, muss ich rückblickend als gescheitert begreifen. 2017, nach einem kurzen Klinikaufenthalt, entschlossen wir uns zur Dauerunterbringung in einem örtlichen Pflegeheim – anfangs schweren Herzens, danach aus meiner Sicht mit zunehmender Überzeugung. Es passte gemeinsam unter einem Dach nicht mehr; die besten Jahre mit meiner Schwiegermutter – von 2017 bis 2020 – hatten wir nach der Aufnahme in den Laubenhof. Den nun folgenden Beitrag, den ich durch farblich unterschiedene Zusätze aktualisiere, halte ich deshalb heute für aktueller als noch 2016, weil wir nun tatsächlich in diese letzte Phase eines – wie Klöckner im besten Fall meint – Fürsorglichen Finales eintreten – mit wachem Bewusstsein und familiär mit einer deutlich verjüngten Ausgangsbasis. Denn 2019 ist uns Leo, 2020 Jule und 2024 Anouk geboren worden. Sie alle haben gestern mit mir gemeinsam Geburtstag gefeiert – erstmals im engen Kreis der Familie (auch wenn sich später noch unverhofft Überraschungsgäste einstellten).

W A R U M ?

Warum die Mühe einer Auseinandersetzung mit einer 73 Jahre alten kleinen 15-seitigen Erzählung, die ganz sicher inzwischen im Großen und Ganzen des deutschen Literaturbetriebs vollkommen untergegangen ist – sofern sie jemals eine Resonanz erzeugt hat, die über die Initiationsbedeutung für die Autorin selbst hinausging??? (Angelika Schrobsdorff, Von der Erinnerung geweckt, Deuscher Taschenbuchverlag, München 1999, Seite 9-24)

Das lebensbestimmende W A R U M ?  der Angelika Schrobsdorff taugt für eine grundsätzliche Bestimmung im gegenwärtigen Klima eines bundesweiten Aufbruchs gegen wiedererstarkendes rechtes Gedankengut. Insofern taugt diese kleine Erzählung auch zu einer Besinnung gegenüber den generationenübergreifenden Auswirkungen eines menschenverachtenden Furors, der im kategorisch ausgerichteten, industriell organisierten Massenmord an 6 Millionen Juden und hunderttausenden politisch, religiös, ethnisch, sexuell oder im Hinblick auf ihre Lebenstauglichkeit stigmatisierten Menschen endete. Dass das 1000-jährige Reich nur zwölf Jahre überdauerte, ist dabei eben nicht einem massenhaften deutschen Widerstand geschuldet, sondern dem Willen, dem Opfermut und der militärischen Entschlossenheit der Alliierten.

Genau aus diesem Grund ist – bei aller tief verankerten Erinnerungskultur – politisch am extrem-rechten Rand des politischen Koordinaten- und Wertesystems (angelehnt an den Sprachgebrauch der Nazis würde man von entarteten Subjekten reden) sich breit machenden Demagogen und Hetzern à la Gauland, Höcke, Brandner, Krah, von Weidel… mit Vehemenz entgegenzutreten.

Angelika Schrobsdorff: W A R U M ?

Angelika Schrobsdorff schreibt im Vorwort zu der Geschichtensammlung Von der Erinnerung geweckt (München 1999), dass Warum? ihre allererste Geschichte sei: „Sie ist Keimzelle und Leitmotiv vieler meiner Bücher geworden.“

Ich lese diese kurze, 15 Seiten umfassende Geschichte heute Morgen, und nehme sie zum Anlass, meinem Blog einen neuen Beitrag hinzuzufügen. Unter dem Text ist in Klammern vermerkt: München 1951 – das ist im Übrigen ein Jahr vor meinem eigenen Geburtsjahr. Und es mag nicht verwundern, dass sich in diesen wenigen Seiten ein Motiv ausbildet und verdichtet, das Angelika Schrobsdorff zu der Auffassung bringt, das Schreiben sei von da an „zu einer Art Droge, einem Beruhigungs- oder Schmerzmittel, einem Antidepressivum, in manchen Fällen zu einer Ecstasy-Pille“ geworden, mit dem sie sich „über Wasser halten konnte“.

Angelika Schrobsdorff bekennt schon gegen Ende der ersten Seite, dass ihre Ahnungen, die sie von einem bestimmten Tag an begleiten, „die Form eines unheimlichen Schattens annahm“ – eines Schattens, der sie fortan auf Schritt und Tritt verfolgen wird. Und ich kann sagen, dass dieser Schatten uns alle bis in die Gegenwart hinein – bis ins Jahr 2024 hinein – begleitet, und dass er 85 Jahre nach den geschilderten Ereignissen wieder schärfere Konturen annimmt. Ich habe Ereignisse kursiv gesetzt. Die für Angelika Schrobsdorff so belastenden Ereignisse werden eindrücklich und in ihrer bedrohlichen Atmosphäre auf bedrückende und beklemmende Art und Weise geschildert. Einzig das Warum? findet keine Erklärung, bleibt nebulös und im Dunkel. Die damit einhergehende Spannung, das düster sich zeigende Damoklesschwert in seiner gänzlich unbegreiflichen Präsenz stecken den Rahmen ab für ein Geschehen, das uns heute noch den Atem nimmt und die Schuld eines ganzen Volkes in Erinnerung ruft:

Peter Härtling: Hallo Opa – Liebe Mirjam, Weinheim 2013

Ein kleines Büchlein, das noch kleiner wird, da es die Geschichte in E-Mails erzählt; die Wiedergabe eines Mail-Austauschs zwischen dem knapp achtzigjährigen Opa und seiner 14jährigen Enkelin Mirjam - Für Hannah und ihre Cousinen - steht in der Widmung. Es ist das alte Thema eines weitgehend vertrauensvollen Austauschs zwischen einem alten Mann und einer seiner Enkelinnen, die sich von ihren Eltern missverstanden und über die Maßen gegängelt sieht. Der Opa lässt sich auf diese Form eines schnellen Hin und Her ein – aus guten Gründen: Er ist zwar alt – auch schon sterbensalt -, aber er bemerkt (und thematisiert dies auch), dass die Zeit des Briefeschreibens vorbei ist. Und so wechseln auf 66 Seiten Mails die Adressaten und lassen ansatzweise und wechselseitig Blicke zu in füreinander inkompatible Welten – auf den ersten Blick. Man kann Peter Härtling zugestehen – das Büchlein wird in seinem achtzigsten Lebensjahr veröffentlicht -, dass er tunlichst vermeidet, die wechselseitigen Anschlüsse als idealtypische Sprechakte zu verbrämen. Sie sind teilweise – vor allem seitens Mirjams – so egomanisch und selbstreferentiell angelegt, dass eher der gegenteilige Eindruck entsteht. Gegen Ende relativiert sich dieser Eindruck dann allerdings durch eine dramatische Wende.

Opa ist vor allem die Facebook-Kommunikation seiner Enkelin ein Dorn im Auge. Aber er bemerkt sehr schnell, dass Mirjam in galaktisch beschleunigter Form jenes Mobbing erfährt, das auch ihm als Heranwachsender das Leben zur Hölle gemacht hat, weil ihn seine Mitschüler versuchten „fertigzumachen“. Ob allerdings Mirjam seinem Rat folgt,

Zwischen Einsicht und Larmoyanz

Karl Ove Knausgard - Lieben, 15. Aufl., München 2013 (Originalausgabe: Oslo 2009)

„Ertrug ich den schrillen, kranken Ton nicht, der überall in der Gesellschaft erklang, der von all diesen Pseudo-Menschen und Pseudo-Orten, Pseudo-Ereignissen und Pseudo-Konflikten ausging, durch die wir lebten, all das, was wir sahen, ohne daran teilzunehmen, sowie die Distanz, die das moderne Leben dadurch zu unserem eigenen, eigentlich unverzichtbaren Hier und Jetzt geschaffen hatte? Wenn es so war, wenn ich mich nach mehr Wirklichkeit, mehr Gegenwart sehnte, müsste ich dann nicht bejahen, was mich umgab? Und mich nicht ausgerechnet davon fortsehnen? Oder reagierte ich vielleicht auf das Vorgefertigte an den Tagen in dieser Welt, auf diesen Schienenstrang der täglichen Routine, dem wir folgten und der alles so vorhersehbar machte, dass wir in Volksbelustigungen investieren mussten, nur um einen Hauch von Intensität zu verspüren? Wenn ich zur Tür hinausging, wusste ich jedes Mal, was passieren, was ich tun würde. So war es im Kleinen, ich gehe zum Einkaufen in den Supermarkt, ich setze mich mit einer Zeitung ins Café, ich hole die Kleinen im Kindergarten ab, und so war es im Großen, vom ersten Einschleusen in die Gesellschaft, dem Kindergarten, bis zum abschließenden Ausschleusen, dem Altenheim […] Und Europa, das immer mehr zu einem einzigen großen und gleichförmigen Land zusammenwuchs. Das Gleiche, das Gleiche, alles war gleich. Oder ging es womöglich darum, dass das Licht, das die Welt erleuchtete und alles in ihr verständlich erscheinen ließ, ihr gleichzeitig jeglichen Sinn entzog? Lag es vielleicht an den verschwundenen Wäldern, an den ausgestorbenen Tierarten, an den alten Lebensweisen, die niemals zurückkehren würden?“ (S. 87ff)

   
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