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Max Uthoff: Dieser wundervolle Haufen Liebe
Manchmal überfordert mich Die Anstalt, die Max Uthoff gemeinsam mit Claus von Wagner moderiert – moderiert, so steht es in den Angaben zur Person in der Ausgabe von chrismon (Das Evangelische Magazin, 5/23). Die Tätigkeitsbeschreibung moderiert halte ich für maßlos untertrieben und frage mich manchmal, wie jemand komplex-komplizierte Sachverhalte in einer so ungemeinen Präsenz vermitteln kann. Wenig überrascht und ganz und gar nicht überfordert haben mich die Auslassungen im Rahmen des immer wiederkehrenden chrismon-Formats FRAGEN AN DAS LEBEN (Folge 195). Es sind ja Standardfragen, die man sich selbst beantworten kann/muss. Hier eine kleine Auswahl:
In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?
Max Uthoff antwortet: „Wenn ich mich verbunden fühle mit der Natur, meinen Kindern, meiner Frau, dem Lachen nebenan – und das mit vielen Sinnen aufnehme.“
Wer oder was hilft in der Krise?
In Krisen müsse man die Rücklagen angreifen, meint Max Uthoff: „Dieser wundervolle Haufen von Vertrauen und Liebe und Gemeinschaft, der im Lauf der Jahre entsteht. Da liegen auch Brocken von Streit dazwischen, aber zu wissen, dass der andere da ist – das sind die Segnungen einer Familie, von gemeinsamen Erlebnissen. Ich glaube nicht, dass der Mensch in großem Umfang gemacht ist, allein durchs Leben zu laufen.“
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Erich Kästner und das Elend der Kinder
In Band VI der Werke Erich Kästners – Splitter und Balken Publizistik (München 1998) findet sich in Kapitel Neues von Gestern auf den Seiten 553 – 558 ein Beitrag: Kinder suchen ihre Eltern (Erstdruck: Die Neue Zeitung, 17.6.1946)
Erich Kästner gehört zu den wenigen Schriftstellern und Nazi-Gegnern, die nicht emigriert sind und den Nazi-Terror in Deutschland überlebt haben. Mein Kästner-Bild, das ich in meinem Blog vielfach pflege, wird maßgeblich beeinflusst von Kästner und der Kleine Dienstag (Regie: Wolfgang Murnberger – Drehbuch: Dorothee Schön). Florian David Fitz gibt den Kästner auf eine so warmherzige, abgeklärte Weise, dass er mir sozusagen als Kästner-Ikone ans Herz gewachsen ist. Einiges mag meinetwegen geschönt sein. Gewiss bleibt, dass Erich Kästner nicht nur für und über Kinder (und natürlich die Erwachsenen, die ihre Kindheit, ihre eigenen Kinder und Kindeskinder in der Erinnerung und im Herzen tragen) geschrieben hat, sondern, dass er über Kinderrechte und Kinderbedürfnisse nachgedacht und auch publiziert hat, solange er das Elend der Kinder unter dem Naziterror und seine verheerenden Nachwirkungen aufmerksam beobachtet und kommentiert hat.
Er beginnt den erwähnten Zeitungsbeitrag mit dem sarkastischen und vernichtenden Zynismus, der einzig der Nazi-Barbarei gerecht wird:
„Zu den kopernikanischen Errungenschaften des totalen Krieges gehört es, die Zivilbevölkerung, als sei sie eine Armee, mobilisierbar und transportabel gemacht zu haben […] Man führt heim. Man siedelt an. Man siedelt um. Man verschickt Schulen. Man bewegt Kinderheime. Man verpflanzt Industrien. Man verlegt Ministerien. Man tut das solange, bis kein Mensch, das kleinste Baby inbegriffen, mehr weiß, wo er eigentlich hingehört.“
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Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil V)
Schulden und Gaben: Die Politik der Verbindlichkeit – Pflichtlektüre im komplexen Nexus des Gebens und Nehmens ist wohl bis zum heutigen Tag Marcel Mauss‘ Essay „Die Gabe“ aus dem Jahr 1920. Maximilian Probst fasst die Kernaussage zusammen, indem er auf Mauss‘ Beobachtung hinweist, dass schon in archaischen Gesellschaften Schuld und Schulden bloß als Teil eines umfassenden Systems der Gaben verstanden werden:
„Beim Geben, schreibt er, gibt man sich selbst, ‚und zwar darum, weil man sich selbst – sich und seine Besitztümer – den anderen >schuldet<‘. Die anderen, das sind in diesem Fall nicht individuelle Gläubiger, sondern ‚Kollektive, die sich gegenseitig verpflichten, austauschen und kontrahieren‘ und zwar mittels Gaben und Geschenke. Entscheidend ist dabei, dass diese scheinbar freiwilligen Gaben erwidert werden müssen, dass sie ‚streng obligatorisch sind, bei Strafe des privaten oder öffentlichen Kriegs (S. 198).“
Maximilian Probst meint, die Überlegungen Mauss‘ könnten uns vor der Einseitigkeit bewahren, alles auf das rechnende Denken zurückzuführen. Mit einem Schuss Nietzsche, standen eben noch alle edlen Motive in Frage, da er doch meint, mit der Gabe schaffe man in erster Linie Abhängigkeiten (siehe Probst, Seite 203). Mit Marcel Mauss gelangt Probst dann doch noch zu der Auffassung, dass seine Geld schenkende Verwandtschaft mitnichten (nur) aus Eigenliebe gehandelt hätte, dass dies eben nur ein mögliches Motiv neben anderen gewesen sei, dass sie ebenso aus liebender Aufopferung, aus zeremoniellen Gründen, aus einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und aus Lust am Spiel schenkten:
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Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil IV)
Kapitel 5 – Die größte Verbindlichkeit (Seite 139-157) - hier: Teil III
Tugend hin, Tugend her – der größten aller Verbindlichkeiten die Aura der Tugend zu verleihen greift zu kurz. Daran lässt jedenfalls Maximilian Probst keinen Zweifel:
„Kinder bringen die Verbindlichkeit schlechthin. Man ist dieser Verbindlichkeit völlig ausgeliefert, vom ersten Tag an. Rums – ist ein Kind da (Seite 141).“
Wenn ein Mann schreibt – und Maximilian Probst schreibt genau dies -, dass er sich um die Kinder kümmerte, „im gleichen Maß wie meine Frau“, dann schreibt er sich ein in jenen gewaltigen Veränderungsschub, der die Welt verändern könnte – verändern kann! Daran ändert auch nichts seine Relativierung, dass ihm dies zumindest so scheine, und dass seine Frau das „vielleicht ein wenig anders sieht“.
„Ich wickelte die Kleinen, wiegte sie in den Schlaf, schob sie in der Karre durch die Straßen, saß mit ihnen im Sandkasten und hörte dort Müttern zu, wie sie über Wickelkommoden, Kinderwagen und Sandkastenspielzeug sprachen (Seite 142f.).“
Der Konjunktiv mit Blick auf Veränderungsschübe ist also angemessen. Gleichwohl bestehe ich als Vater und Großvater auf den ungeborgenen Potentialen, indem ich insbesondere die Väter und die Großväter dazu anregen möchte, ihre Erfahrungen als Väter und Großväter aufzuschreiben, sie zur Sprache und damit in die Welt zu bringen. Nur auf diese Weise erscheint mir der Wahnsinn in seinem Wahnsinn greifbar zu werden, der aus den Versäumnissen resultiert, Kindern zu geben, was den Kindern gemäß ist. Ich weiß – zu plakativ, zu abstrakt. Also beschränke ich mich exemplarisch - im Sinne konkreterer Hinweise - auf den weise gewordenen (leider allzu früh verstorbenen) Karl Otto Hondrich.
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Zur Welt kommen – zur Sprache kommen (im Andenken an meine liebe Tante Annemie)
Der nachfolgende Text dient in erster Linie dazu, eine These zu validieren, die Maximilian Probst in Anlehnung an Heinz von Foerster formuliert (Maximilian Probst Teil III). Er behauptet hier, Heinz von Foerster habe mit seinem neuen ethischen Imperativ – Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst – richtiggelegen, genau wie Nietzsche mit seinem prophetischen Satz: „Vielleicht gab es noch nie so ein offenes Meer.“ Nur – meint Maximilian Probst – müsse man wohl hinzufügen: für Männer. Von Maximilian Probst (1977) trennt mich (1952) eine Generation. Ich gehöre dem Jahrgang 1952 an. Als zutiefst prägend und irritierend – mit Blick auf den gewaltigen, galaktischen Unterschied zwischen Männern und Frauen, was den Möglichkeitsraum angeht – erwiesen sich die Beobachtungen meiner Tante und ihres Schicksals in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren. Vor allem der Titel der nachfolgenden Auskopplung soll signalisieren, dass nur – und ich behaupte: nur und ganz und gar exklusiv – der Zugang zu Bildung gleichbedeutend ist mit dem Sloterdijkschen Versprechen: Zur Welt kommen – zur Sprache kommen (Suhrkamp – Frankfurt 1988). Innerhalb des sozialen Milieus, dem ich entstamme, kam man selbstverständlich zur Welt, aber in den seltensten Fällen zur Sprache. In der Verfügung über welterschließende und weltbeschreibende Sprache manifestieren sich im besten Fall die Aneignung differenzierten Wissens und damit qualifizierte Zugänge zu einer komplexen Welt. Die abschließenden Sätze in Sloterdijks Frankfurter Vorlesungen (Seite 175f.) lauten:
„Meine Damen und Herren, Gedichte und anderes frei Gesagte sind Atemschiffchen, die sich in Offene aussetzen. Daher sind freie Worte wichtiger als große. Doch kommt es vor, daß die freien sich als die großen erweisen. Ein Gedicht von Paul Celan spricht vom Auftauchen des unbedingten eigenen Wortes:
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