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Was machen Soziologinnen heute? Eva Illouz: Die negative Wahl - heute mal nur Originaltext

Die negative Wahl (in Eva Illouz: Warum Liebe endet, erste Auflage, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2020, Seite 43ff.)

"Traditionell hat die Soziologie - und hier insbesondere der symbolische Interaktionismus - fast schon axiomatisch die Herausbildung sozialer Bindungen auf der Mikroebene in den Blick gerückt. So war sie zwangsläufig blind für den schwerer fassbaren Mechanismus, durch den Beziehungen enden, in die Brüche gehen, sich in Luft auflösen oder einschlafen. In der vernetzten Moderne wird die Frage, wie sich Bindungen auflösen, zum geeigneten Untersuchungsgegenstand, sofern wir diese Auflösung als soziale Form verstehen. Diese Art des Endes von Beziehungen erfolgt nicht durch ihre unmittelbaren Zusammenbruch - durch Entfremdung, Verdinglichung, Instrumentalisierung, Ausbeutung -, sondern durch die moralischen Gebote, die den imaginären Kern der kapitalistischen Subjektivität ausmachen, wie die Gebote, autonom und frei zu sein, seine verborgenen Potentiale auszuschöpfen, die eigene Lust, Gesundheit und Produktivität zu optimieren.

In progress? - Rauft euch zusammen!

Man kann auch gewinnen, wenn man erst - weiter unten - nach Karl Otto Hondrichs Appell: Rauft euch zusammen! zu lesen beginnt!

Mir fällt auf, dass ich fast alle meine Beiträge unter den Vorbehalt bzw. die Aussicht stelle: in progress (so wie auch im letzten Beitrag). Letzten Endes kann das eigentlich nur bedeuten, dass ich Angefangenes nicht zu Ende führe - oder vielleicht anders herum: Alles ist schon zu Ende - alles ist schon gesagt. Bei den inzwischen weit über 600 Beiträgen meines Blogs liegt zumindest nahe, dass ich aus dem mir Möglichen - vor allem mit Blick auf die Rezeption von Texten aus Literatur und Wissenschaft - ein filigranes Netzwerk erzeugt habe, das die Phantasie nährt, irgendwann einen Text nur noch aus Links zu erstellen, die sich aus sich selbst heraus erklären und nähren. Ja, irgendwann wird es gewiss so sein, dass sich mein Schöpfen aus den unendlichen Quellen menschengemachten Sinnierens und Reflektierens final erschöpft. Vielleicht führt es dann ein Eigenleben. Ob mich meine Kinder und Kindeskinder dann noch als zukunftsgläubigen Menschen erinnern, ziehe ich doch sehr in Zweifel; hingegen werde ich gewiss immer als jemand in Erinnerung bleiben, der sich mit seinen Herkunftszwängen auseinander gesetzt hat:

Über das Älterwerden (in einer Welt, die sich verändert) - heute auch mit Wilhelm Busch

mit folgendem Gedicht von Wilhelm Busch hat Arist von Schlippe - wenn ich den richtigen Rückschluss ziehe - Gunther Schmidt zum 80en Geburtstag gratuliert:

Über das Älterwerden

Das große Glück, noch klein zu sein,
sieht mancher Mensch als Kind nicht ein
und möchte, dass er ungefähr
so 16 oder 17 wär‘.

Doch schon mit 18 denkt er: „Halt!
Wer über 20 ist, ist alt.“
Warum? Die 20 sind vergnüglich –
auch sind die 30 noch vorzüglich.

Joachim Meyerhoff: Alle Toten fliegen hoch - auch unsere Toten?

Wir haben uns bereits als Meyerhoff-Fans geoutet -allerdings mit ordentlichem zeitlichem Verzug. Alle Toten fliegen hoch - Teil I, bereits 2011 erschienen, habe ich erst in der 61. Auflage 2024 erstanden - 61 Auflagen; ist das zu fassen!? Die Zweisamkeit der Einzelgänger - Alle Toten fliegen hoch Teil 4 ist in der ersten Auflage 2017 erschienen. Unsere Freundin Marisa, die - wie keine zweite - mit geschärfter Lese-Machete feine Schneisen in den Bücherdschungel liest, hat es uns als Vorleselektüre vor 14 Tagen ausgeliehen. Als Vorleser bin ich kein Schnellleser, sondern ein akribischer Wörterfresser, der das Gelesene nicht nur konsumiert, sondern nach allen Regeln der Kunst verdaut (zum Beispiel: Michael Kleeberg oder Kleeberg Michael oder Erik Schulman oder Peter Härtling oder Härtling Peter oder Wolf Biermann oder Max Frisch oder Peter Sloterdijk oder Benedict Wells oder Bernhard Schlink oder Erich Kästner oder - und - und - und. So blieb mir natürlich nicht verborgen, dass die letzten vier Worte in Die Zweisamkeit der Einzelgänger lauten: Alle Toten fliegen hoch. Auf den letzten drei Seiten seiner Erzählung entwirft Joachim Meyerhoff ein Szenario, das mich häufig im schleichenden Übergang vom Wachsein hinein in einen Dämmerzustand begleitet - eine kostbare, bewusstseinstrübende Schliere im Dahinschlummern; ein Zustand, in dem sich gleichermaßen etwas löst und verdichtet. Joachim Meyerhoff schreibt: "Etwas in mir wurde lose, gelöster, wühlte herum und wollte herauf und hinaus." Und in dieser eigenwertbasierten Dynamik verlieren wir die Kontrolle über das Geschehen. Es löst sich von uns ab und macht was es will:

Unsere Toten? Vor allem auch deshalb, weil mir Maurice Halbwachs nicht aus dem Kopf geht - bei alledem stehe ich noch unter dem Eindruck von Andreas Reckwitz II

Nun liegt mir noch etwas auf der Seele, auf dem Herzen und auch auf der Zunge. Am gestrigen Freitag, den 11.7.2025 hatte unser Pensionistas-Mitglied Many Auer, nein es war gestern unser Dr. Karl-Ludwig Auer, der eine Begehung des jüdischen Friedhofs in Koblenz arrangiert hatte. Mehr als 50 Jahre muss ich in Koblenz leben, um im hohen Alter von 73 Jahren einen Eindruck zu gewinnen von jüdischem Leben in Koblenz. Mir geht es hier nur um einen besonders auffälligen Zusammenhang - und natürlich um den Dank Many gegenüber, der all dies für uns möglich gemacht hat.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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