<<Zurück

 
 
 
 

Das lyrische Klärwerk (in progress)

Die Projekte häufen sich - sie sollten alsbald auch eine lesbare Gestalt annehmen. Der größere Zusammenhang, in den ich dieses Projekt integrieren werde, nimmt bereits Konturen an.

Es hat 72 Jahre gedauert, bis zu der Idee vorzudringen, dass mein Antrieb zur verdichteten, prägnanten lyrischen Form sich dem Bedürfnis verdankt, einen Angelpunkt für die eigene Position zu finden. Meine Bemühungen geschahen und geschehen in einem (historischen) Kontext, der uns (auch uns Nachgeborenen) auferlegt(e) im Sinne der umstrittenen kantischen Lehre vom radikal Bösen zu unterscheiden, ob jemand sich für das Böse entscheidet, weil es böse ist, und eben nicht nur, weil man es fälschlicherweise für gut hält (siehe Boehm/Kehlmann, der bestirnte Himmel über mir – Ein Gespräch über Kant, 2. Auflage, Berlin 2024, Seite 75).

Der Angelpunkt war früh gesetzt mit der Idee, man müsse den Menschen als Zweck statt als Mittel  betrachten. Der Kantsche Universalismus – trotz aller menschlichen Verfehlungen des Herrn Kant – wirkt heute, verbunden mit seinem dreihundertsten Geburtstag angesichts des rasanten Wiederauflebens von Gewalt als Mittel der Politik entschieden nach, weil die kategorische Falschheit von Handlungsoptionen dann greifbar wird, wenn man dieser Idee folgt, die Menschen nicht als Mittel, sondern als Zwecke zu betrachten (was im Übringen nicht bedeutet, dass man selber dieser Idee in seinen alltäglichen Handlungen auch nur nahekommt):

„Man muss über die eigenen und ihre Interessen hinausblicken und sein Verhältnis in einer Gesellschaft freier und deshalb gleicher Wesen begreifen.“ (siehe a.a.O., S. 73f.). So schreibt Kant:

„Die Klasse der Weißen ist nicht als besondere Art in der Menschengattung von der der Schwarzen zu unterschieden; und es gibt gar keine verschiedene Arten von Menschen.“ (Immanuel Kant, >Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse<, Akademie-Ausgabe der Schriften Kants, Band 8, S. 99f. zitiert nach Boehm/Kehlmann, a.a.O., S. 69)

Und Boehm/Kehlmann fragen an gleicher Stelle, wie jemand, der diesen eben zitierten Satz geschrieben hat, immer noch rassistische Anschauungen haben konnte.

Vermutlich ist dies auch einer der Begründungen für die Zitation Jura Soyfers auf der Vorsatzseite des von Boehm und Kehlmann veröffentlichten Buches, wo es heißt:

Hier kräht der Krah -krah, krah, krah, krah

Hier kräht der Krah - auch für ihn: Das Marschliedchen 2022

Krah, krah, krah
kräht unverdrossen die Krähe;
ich bin frech und schwarz.
ich ernte, ohne dass ich säe.

Krah, Krah, Krah
hier kräht der Krah,
bin mehr braun als schwarz
und ernte, was ich säe.

Der Krah sieht sich als Schmittchen
und faselt schon vom Großraum -
vom Freund zum Feind ist’s nur ein Schrittchen
der wahren Souveränität gilt Maxens Traum.

Umvolkung kräht der Krah!
Ich war mal schwarz und bin jetzt braun
hier kräht der Krah
und das klingt hart? Zieht höher den Zaun!

Du willst ernten, was du säst?
Im D…, im D… im Dummenland?
Selbst da wohl kaum, wenn sie doch sähen, was du säst.
Träum weiter nur von Lummerland!

Und doch: die Dummen feiern den Krah
sie zündeln und säen den Hass und das Gift,
während der Zorro verjiss, woröm er e Z in der Schnie eren schifft.
Un die, die alles, wat anders ess, stührt, die krähen krah krah, krah krah –

Und über die lacht und amüsiert sich der Kra, Krah, Krah
Er lacht sich nen Ast, liest Jan Philipp Reemtsmas Verdikt
vom unaufhebbaren Nichtbescheidwissen der Mehrheit – und denkt: geschickt!
Die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber – krah, krah, krah, krah

Jawohl, so kräht der Krah

Die kontinuierliche Drohung, deren er [der Führer] sich bedient und die das eigentliche Wesen dieses Systems ausmacht, richtet sich schließlich gegen ihn selbst. Ob er tatsächlich von Feinden gefährdet ist oder nicht, er wird immer ein Gefühl von Bedrohtheit haben. Die gefährlichste Drohung geht von seinen eigenen Leuten aus, denen er immer befiehlt, die in seiner nächsten Nähe sind, die ihn gut kennen.Das Mittel zu seiner Befreiung, nach dem er nicht ohne Zögern greift, auf das er aber keineswegs ganz verzichtet, ist der plötzliche Befehl zum Massentod. Er beginnt einen Krieg und schickt seine Leute dorthin, wo sie töten sollen. Viele von ihnen mögen dabei selber zugrunde gehen. Er wird es nicht bedauern. Wie immer er sich nach außen stellen mag, es ist ein tiefes und geheimes Bedürfnis von ihm, daß auch die Reihen seiner eigenen Leute sich lichten. Zu seiner Befreiung von Befehlsangst ist es erforderlich, daß auch viele von denen sterben, die für ihn kämpfen. 

Elias Canetti Putin und die Mullahs

1960 – vor vierundsechzig Jahren – hat Elias Canetti Masse und Macht vorgelegt (mir vorliegend in der 29. Auflage bei S. Fischer, Frankfurt 1980). Auf dem Rückdeckel findet sich ein Zitat von Karl Heinz Bohrer: „Wir werden Canettis >Masse und Macht<, so glaube ich, alle zehn Jahre von neuem lesen müssen.“ Bewusst lese ich heute zum ersten Mal, was hätten die Politiker, die Beobachter der (Welt-)Gesellschaft danach schon hätten x-mal, wenigstens sechs Mal hätten lesen können/müssen. Es reichen dabei die letzten fünf Abschnitte. Es gelingt Elias Canetti gleichermaßen die Hybris, die Dummheit und – vor allem – die Urängste der Despoten und Autokraten mit faschistischer Gesinnung auf den Punkt zu bringen. Dies ist deshalb heute so bedeutsam, weil der Kontext mit den Männern, die auf der Bombe sitzen, sich so darstellt, dass der Satz Sinn gibt, mit dem Canetti die Präsentation seiner Untersuchungen autorisiert hat:

Theodor W. Adorno: Minima Moralia.

Reflexionen aus dem beschädigten Leben (1951), eine aphoristische „Diagnose einer global organisierten Unmündigkeit“ (so im Wikipedia-Beitrag zu lesen).

Was Theodor W. Adorno teils in den Minima Moralia zusammenträgt, ist mit obigem Verdikt einer grundlegenden global organisierten Unmündigkeit nur unzureichend beschrieben. Organisierte Unmündigkeit vermittelt den Anschein, Unmündigkeit sei zuvorderst das Ergebnis von außen auf uns zukommender Entmündigungsstrategien, und man könne sie – nur willensstark genug – zurückweisen. Nehmen wir einmal die Nummer 105 seiner Aphorismen-Sammlung – Nur ein Viertelstündchen (Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Frankfurt 1969, S. 217f.). Das ganze geballte Elend unserer Existenz, das Adorno unter das Generalverdikt setzt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen (Conclusio aus Nummer 18: Asyl für Obdachlose) tritt uns entgegen im Kontext einer Allerweltserfahrung: Ausgangspunkt ist eine schlaflose Nacht. Adorno war bei Abfassung des dritten Teils seiner Aphorismen eben erst 43 Jahre alt, stand allerdings – wenn auch aus sicherer Distanz – unter dem Eindruck des faschistischen Terrors in Europa, dem er sich widerwillig durch Flucht entzogen hatte. Für die Schlaflose Nacht sieht er ein formelhaftes Äquivalent:

Axel Hacke - Danke (:-))

Danke – Axel Hacke, sagt einer, der zum Lachen in der Keller geht (das meint immerhin meine Schwester)

Nun ich habe heute Morgen in einer Viertelstunde Nummer I gelesen aus Deinem Büchlein Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte (schon in der 3. Auflage bei DuMont in Kölle) und habe immerhin geschmunzelt. Axel Hacke schreibt übrigens für Ursula und Anne, Max, Marie, David und Josi – das ist mir sympathisch. Aber sodann rückt schon die Frage in der Vordergrund, wie er das wohl jetzt machen wird. Ich weiß es noch nicht so ganz genau. Ich habe erst das erste von 27 Kapitelchen gelesen. Aber da gelingt dem Axel Hacke etwas – Axel Hacke, im Januar 1956 geboren (der goldene Jahrgang meiner Frau). Wir sind also nur vier schlappe Jährchen auseinander. Und dann passiert’s. Dem Axel Hacke gelingt es, mich unversehens in die frühen 60er Jahre zurück zu katapultieren.

Heute Morgen scheint die Sonne. Es wird gewiss ein heiterer Tag. Und die zwei Sätze, die ich nun lese, lassen mich gespannt erwarten, was da kommen mag: „Wenn ich das Wort heiter höre, denke ich immer zuerst daran, wie gerne ich ein heiterer Mensch wäre, gelassen, entspannt, leicht durch den Tag schwebend. Ich denke an den Neid, wenn ich Menschen begegne, die sich so im Leben bewegen. Zweitens aber fällt mir stets eine Fernsehsendung ein, die in meiner Kindheit überaus beliebt war. Sie hieß Was bin ich? Ein heiteres Beruferaten. Den ersten Satz hat Axel Hacke bei mir abgeschrieben (kleiner Scherz am Rande).

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.