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Das untertunnelte Land

Mit diesem Titel versehen stellen Stephan Lebert und Louis Lewitan ihr Studie Der blinde Fleck (Heyne München 2025) vor. Beginnen wir - wie so häufig unter meiner Regie - mit dem Schlussakkord. Wir führen uns die Quintessenz vor Augen, die Stephan Lebert und Louis Lewitan aus den rund 100 Interviews und ihren Vorstudien zu ihrer aktuellen Publikation ziehen:

"Es gibt in der Psychologie ein unerschütterliches Prinzip: Wer sich dem eigenen Trauma nicht stellt, reicht es an die nächste Generation weiter. Studien deuten darauf hin, dass ein Trauma über die >epigenetische Signatur< an künftige Generationen weitergegeben werden kann. >Zurzeit können diese Merkmale bis zur dritten Generation nachverfolgt werden<, so der renommierte Forscher Alon Chen. Man könnte es auch so formulieren: Welcher Deutsche seine Kinder liebt, sollte sich mit den Abgründen der Geschichte beschäftigen." Dieser Appell erreicht einen Hobby-Historiker, als den ich mich selbst - geboren am 21. Februar 1952 - sehe, just in einer Phase, in der sich der folgende von Lebert/Lewitan aufgezeigte Widerspruch mit neuer Wucht in das Bewusstsein eines Nachkriegskindes drängt:

Ernst Bloch 1966 - Notstand jetzt - Blochs Anmerkungen zur Gefährdung unserer Demokratie - (siehe auch Sebastian Haffner: hier)

An all die, die mit der AfD nicht nur kokettieren - und an all die - wie Ernst Bloch meint - Unorientierten. Aber wer kann denn heute noch behaupten, er habe von all dem nichts gewußt?

Notstand jetzt - ausgewählte Zitate (aus: Ernst Bloch, Politische Messungen, Pestzeit, Vormärz - bei Suhrkamp, Frankfurt 1970, Seite 485-487)

  • "Wir kommen zusammen, um den Anfängen zu wehren.
  • Es scheint und droht, als würde schon zu vieles dem Wurm und seinem Loch in der Weimarer Republik ähnlich. Der Artikel 48, den der Demokrat Hugo Preuß damals, halb naiv, halb taktisch, in die Verfassung einfügte: wird er post festum Notstand feiern? Er wollte doch gleichfalls die bürgerliche Demokratie, den Worten nach, im Notfall schützen, und sie wurde an dem Paragraphen, der sie im Notstand gerade aufhob, juristisch aufgehängt, bis die Nazis sie wirklich aufgehängt haben.
  • Eine andere warnende Ähnlichkeit mit der gehabten Weimarer Demokratie und ihrem diktatorischen Ende drängt sich gleichfalls auf. Nämlich die Geringfügigkeit der Achtung, worin (mit Recht) die vorhandene Regierung, doch auch das Parlament, ja die Einrichtung des Parlaments selber, jetzt steht.
  • Doch sollte über ein bisheriges, überwiegend unorientiert gehaltenes Konsumvolk wirkliche Wirtschaftskrise kommen, ein immanenterer Notstand als der durch die diversen kalten Kriege und ihre Zündung erzeugte: dann steht vermutlich nicht nur die bisherige Opposition (die so lange keine war) ante portas. Sondern daneben lebt immer noch oder immer wieder oder auch neufrisiert ein schärfer Erinnerndes im Kleinbürgertum.
  • Die wirkliche Macht könnte schließlich merken, daß mit Neu-Faschistischem im Bund noch solidere Geschäfte zu machen wären; der Schoß ist fruchbar noch, aus dem das kroch, sang Brecht.
  • So mag auch eine noch so vorsorgliche Aufhebung bürgerlicher Grundrechte uns nicht beruhigen, sondern uns vielmehr entsetzen, mit Erinnerung und Ahnung zugleich. Mit Erinnerung daran, daß hierzulande noch kein Ausnahmegesetz gegen radikales Rechts gerichtet war, immer nur gegen Links.
  • Und je diskreditierter parlamentarische Demokratie in bürgerlicher Gesellschaft, desto leichter kann deren Selbstausschaltung in das Land führen, es wenigstens berühren lassen, woraus noch kein Denokrat zurückkam, lebend, unbeschädigt. Worin von einem Ermächtigungsgesetz wirklich ein ausgedehnter Gebrauch gemacht worden ist und nicht nur die Schornsteine der Industrie geraucht haben.
  • Die Spuren also schrecken, wir wollen uns von ihnen endlich aufschrecken lassen. Hegel sagte einmal: das einzige, was aus der Geschichte gelernt werden könne, sei, daß man nie etwas aus ihre gelernt habe; soll das auch jetzt so bleiben?
  • Die alten Herren mit ihrem Artikel 48 haben bereits die Vergangenheit verspielt, die neuen Herren mit ihrem Nostandsrecht sollen nich unsere Zukunft verspielen."

Karfreitagsgedanken 2025 (Teil I) - heute mit Moritz Aisslinger (hier: Teil II - mit der Frage, warum Väter so wichtig sind) und über unsere Demokratie wusste Ernst Bloch 1966 höchst Bedenkenswertes zu sagen (hier: Teil III)

Moritz Aisslinger darf in der Osterausgabe der ZEIT das Dossier gestalten: 20 Leute, der Anführer tot. Was soll da schon rauskommen - Zusammen hatten sie Irres erlebt, davon wollten sie nun der ganzen Welt erzählen. Bis Hunderte mitmachten, Tausende, am Ende Milliarden. Die Erfolgsstory des Christentums (ZEIT 16/25, S. 13ff.)

Jesus als Revolutionär: Die Zeit für Jesus war jedenfalls günstig:

"Das Land, durch das die Gruppe streifte, war okkupiertes Land, Rom befahl. Die meisten Juden wünschten sich ein Ende der Fremdherrschaft. Viele glaubten, nur Gottes Beistand könne ihnen dazu verhelfen. Seit Urzeiten hatte es die Hoffnung des jüdischen Volkes auf das Erscheinen des Messias gegeben. Nun waren einige überzeugt: Jesus ist jener Messias."

Die Christen feiern Ostern die Auferstehung jenes Messias, dessen Revoluzzerkarriere on the road - wie Aisslinger schreibt - nach zwei Jahren endet mit seiner Verhaftung und seiner Hinrichtung wegen Aufruhrs:

"An einem Tag, den Menschen später einmal als Karfreitag in Erinnerung behalten sollten, starb er. Ohne Jesus stand die Truppe vor dem aus."

Später einmal: Das ist nunmehr seit 2025 Jahren der Fall - die ganze moderne Zeitrechnung im Westen richtet sich aus nach der Geburt Christi!!! Moritz Aisslinger durchschreitet die Geschichte des Christentums in einem rasanten Parforce-Ritt. Man kann es an den Kapitelüberschriften nachvollziehen:

  • Um das Jahr 60: circa. 1.250 Christen weltweit
  • Um das Jahr 110: circa 10.000 Christen weltweit
  • Um das Jahr 200: circa 155.000 Christen weltweit
  • Um das Jahr 250: circa 650.000 Christen weltweit
  • Um das Jahr 300: circa 3 Millionen Christen weltweit
  • 28. Oktober 312: circa 3,8 Millionen Christen weltweit
  • Um das Jahr 400: circa 30 Millionen Christen weltweit
  • Das Jahr 2025: circa 2,5 Milliarden Christen weltweit

Ich greife aus Moritz Aisslingers Parforce-Ritt nun lediglich die mir persönlich bedeutsam vorkommenden Stationen auf:

Karfreitagsgedanken - Teil II (hier: Teil I)

Kann man ein guter Vater sein, wenn man keinen (guten) Vater gehabt hat? Die Titelseite des SPIEGEL (17/25 vom 17. April 2025) zeigt einen etwa vierjährigen Jungen auf der rechten Schulter seines Vaters sitzend. Seine rechte, geöffnete Hand berührt zwar nicht das Kinn seines Vaters. Aber die Haltung legt nahe, dass sich in dieser Hand eine umfassende symbiotische Verbundenheit, eine tief gründende Gewissheit - vielleicht eine lebenslange Sehnsucht - ausformt. Das Kind schmiegt seinen Oberkörper an den Kopf des Vaters; der eigene Kopf ruht gedankenverloren auf dem Haupt des Vaters. Mit seiner linken Hand umfasst der Vater den rechten Unterschenkel seines Sohnes. Beide wissen um eine unverbrüchliche Verbundenheit. Die Blicke der Beiden versinken nicht ineinander, haben aber die unzweifelhafte Qualität, in der Zugehörigkeit, liebevolle Zuwendung, Geborgenheit und Urvertrauen zu einer Melange verschmelzen, die Samer Tannous (55) auf Seite 9 des SPIEGEL-Beitrags folgendermaßen beschreibt:

Ulrich Schnabel: Alles schlimm?

In Ulrich Schnabels Beitrag erklären eine Psychologin (Judith Mangelsdorf), ein Historiker (Frank Bösch) und die Forschungsdirektorin der Nato-Militärakademie in Rom (Florence Gaub), wie man trotz Krise zuversichtlich bleibt - und sein Angstzentrum entkrampft. Bei mir geht das nur mit Humor, der sich sarkastischer Anleihen nicht zu entziehen vermag.

Verröffentlicht: 06. August 2023

Ijoma Mangold: „Totalitäres Biedermeier“ – „Uns fehlt die Tugend der Demut“ (Ein Gespräch mit dem Philosophen Michael Sandel, geführt von Elisabeth von Thadden) und Martina Kix erklärt, wie aus „Layla“ ein „Protestsong“ wurde (alles in der ZEIT vom 27. Juli – 32/23, Seiten 46, 43 und 41) und jetzt kommt noch Ulrich Schnabel dazu: Alles schlimm? So halten Sie das aus (ZEIT vom 10. April -15/25, Seite 29/30)

In Ulrich Schnabels Beitrag steht eine Conclusio, die ich mir immer wieder zu Herzen nehme - mit Hilfe der ZEIT: "Motiviert verlasse ich das Forschungsinstitut und flaniere durch die sanierte Potsdamer Altstadt zum Bahnhof. >Tun, was möglich ist< heißt ja in meinem Fall: einen hilfreichen Artikel schreiben." In meinem Fall heißt es: Schreib doch ein Gedicht (und das Schöne in der digitalen Welt ist: man kann die Querbezüge zum Diskurs in der ZEIT jederzeit transparent machen): Also ein Gedicht entlang des ZEITgemäßen Diskurses zur eigenen Entlastung im medialen Tsunami - geschrieben mit Aufmerksamkeit und vor allem Humor:

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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