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Sebastian Haffner: Hitlers Machtergreifung I
Parforce-Ritt zu Hitlers Machtergreifung – nachgezeichnet anhand von Sebastian Haffners Vortrag im Bayrischen Rundfunk 1983, in: Sebastian Haffner, Historische Variationen, München 2003, Seite 151-172)
Damit wir heute – in schwierigen Zeiten mit einem Wähleranteil der AfD bei den Bundestagswahlen vom 23. Februar 2025 von über 20 Prozent – angemessen umgehen können mit Vergleichen zur Weimarer Republik, lohnt es die entscheidenden Argumentationslinien in Sebastian Haffners Skizze nachzuvollziehen:
Sebastian Haffner stellt all die Fragen, die wir im Grunde kennen: Wie konnte es soweit kommen? Wo waren in der Krise von 1932/33 Verfassung, Reichstag, Parteien? Woran starb die Weimarer Republik? War sie überhaupt je lebensfähig? Es sind Fragen, die Sebastian Haffner stellt, um verstehen zu können, was Hitlers Machtergreifung möglich machte.
Und 1983 fühlt sich Sebastian Haffner zunächst einmal bemüht schon ganz zu Beginn seiner Ausführungen auf einen grundlegenden Unterschied zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik hinzuweisen – immer mit Blick auf die Frage, „ob es ein neuer Hitler mit der Bundesrepublik so leicht haben würde, wie es Hitler mit der Weimarer Republik hatte?“ Haffner kolportiert, dass man die Weimarer Republik eine Republik ohne Republikaner genannt habe:
„Es gab schon Republikaner; aber es gab sie nur auf der gemäßigten Linken. Die radikale, kommunistische Linke wollte eine ganz andere Republik. Und, was schwerer wog, die gesamte Rechte, sogar die gemäßigte Rechte, wollte im Grunde immer noch die Monarchie. Das aber beraubte die Weimarer Republik von Anfang an der Möglichkeit eines normalen Regierungswechsels, der doch erst das wahre Leben einer parlamentarischen Republik ausmacht.“ (Seite 152)
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Wir sind unsere Geschichte
Wilhelm Schmid hat 2025 Die Suche nach Zusammenhalt veröffentlicht (Suhrkamp Verlag, Berlin 2025). Ausschlaggebend für den spontanen Kauf war ein überschaubares Kapitel im Hauptkapitel: In Gesellschaft leben, was heißt das? Der vierte Abschnitt ist überschrieben mit dem Titel: Aufklärung im Klärwerk: Die Wahrheit der Gesellschaft (Seite 36-44). Innerhalb seiner Ausführungen beschäftigt sich Schmid sozusagen mit zwei relevanten Polen - zum einen nimmt er die Wasserbetriebe in den Blick, die dafür sorgen und Verantwortung tragen, dass Haushalte in Deutschland mit hochwertigem und einwandfreiem Trinkwasser versorgt werden.
Aber am "anderen Ende der Wasserbetriebe, im Klärwerk, habe sie mit anderen Problemen zu schaffen. Die Gesellschaft verändert sich, es gibt immer mehr ältere Leute, und die benutzen gerne Feuchttücher, die sie praktischerweise auch gleich im Klo entsorgen. Zusammen mit Haaren und Papiertaschentüchern verstopfen diese Lappen regelmäßig die Anlagen. Junge Frauen wiederum nehmen seltener die Pille, umso häufiger landen Kondome im Abwasser statt im Müll. Etliche Unternehmen überschreiten hier und da Grenzwerte bei den Einträgen von Chemikalien. Und die Menschen trinken, ziehen Kokainlines, werden krank, schlucken Medizin, gehen auf die Toilette und wenig später kommt es im Klärwerk zum Vorschein. Wo werden besonders viele Antibiotika eingesetzt? Welche Hormone werden weggespült? Wie hoch ist der Alkoholpegel aktuell? Wann werden in welchem Stadtteil welche Drogen konsumiert? Die messbaren Rückstände erlauben Rückschlüsse."
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Crossover - der Kampf geht weiter
Als das folgende Gedicht schon Formen annahm, fiel mir – ich bin 73 und räume und räume – beim Räumen ein Geburtstagsgeschenk aus dem Jahr 2012 in die Hände. Ich wurde 60, und die Welt schien mir noch gestalt- und in gewisser Weise auch verfügbar. In dem beiliegenden Brief vermerkte der Schenker:
„Vielleicht bietet Stephen King mit dem Buch, das wir Dir zu Deinem heutigen runden Geburtstag schenken (und dessen erste 200 Seiten schon mich vor Begeisterung förmlich umgehauen haben) ein anregend unterhaltsames Lesevergnügen (wir hoffen es jedenfalls).“ Es taucht in diesem Brief auch die Frage auf: „Was würde passieren, wenn man uns ermöglichte, in die Vergangenheit einzugreifen, bestimmte Ereignisse ungeschehen zu machen, andere hinzuzufügen, und auf diese Weise in den Lauf der Geschichte einzugreifen? Deine Überlegungen zu Wendepunkten des Lebenslaufs, also Ereignissen, die nicht hätten geschehen müssen, dürften sich an dieser Stelle mit denjenigen treffen, die seit jeher meiner eigenen Vorstellungswelt entstammen.“
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Das Unerhörte erzählen?
Ich stoße im SYSTEMAGAZIN (Online-Journal für systemische Entwicklungen (29. März 2025) auf: Herta Schindler, Kassel: Mit meiner Stimme das Unerhörte erzählen. Eine Schulung des Hörens im Kontext systemischer Biografiearbeit
Sie leitet ein mit der Überschrift: Das Unerhörte erzählen und macht darauf aufmerksam, dass sie hier zwei Bedeutungen im Blick hat:
„Zum einen versteht man darunter, das, was (noch) nicht gehört wurde. In der Regel wurde es nicht gehört, weil es nicht erzählt wurde bzw. nicht erzählt werden konnte. Und zum zweiten ist es ein empörter Ausruf über etwas, das den gesellschaftlichen Gepflogenheiten nicht entspricht: das ist ja unerhört! Beide Aspekte hängen zusammen mit den jeweils geltenden gesellschaftspolitischen Werten, Gesetzen und Machtverhältnissen. Geschehenes oder Erlebtes, das gegen diese vorherrschenden Werte verstößt, im Gespräch zu teilen, kann mit Risiken verbunden sein. Es kann daher aus dem Sprechbaren verbannt werden; dem Geschehenen oder Erlebten wird die Anteilnahme entzogen und es wird zu etwas >Unerhörten<.
Um das Unerhörte zu erzählen und es dadurch aus seiner Verbannung zu lösen, braucht es Mut, und die (Wieder-)Einführung von Anteilnahme […] Ohne Anteilnahme kein Gedächtnis.“
Ich beschränke mich auf (für mich) wesentliche Aspekte, in deren Spiegel meine eigenen Bemühungen um (Re-)Integration des Unerhörten in das soziale/kommunikative Gedächtnis – vor allem auch mit Blick auf ein nachhaltiges Scheitern – verständlicher erscheinen.
Herta Schindler veranschaulicht Vorgehensweisen in der Biografiearbeit mit Anklängen zur Archäologie, in der – erst mit groben Schaufeln und dann mit immer feineren Instrumenten – nach etwas gesucht werde, das anwesend sei, ohne sichtbar zu sein. Es ergibt sich die Frage, was denn nun – statt Pinsel und Pinzette – die Instrumente der Biografiearbeit seien?
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Erinnerungskultur?
Es gab da heute eine kleine Lücke in meinem Tagesplan. Da stand in erster Linie die Erprobung eines Hörgerätes. Seit Jahren lässt mein Hörvermögen nach. Warum ist eigentlich das Hören von großer Bedeutung? In den Praxisräumen meines kürzlich verstorbenen HNO-Artzes hing ein Spruch, den ich vor Jahren ins Langzeitgedächtnis übernommen habe: Das Nicht-Sehen-Können trennt von den Dingen - das Nicht-Hören-Können trennt von den Menschen.
Kleine Randbemerkung: Mit meinem langjährigen Institutsleiter an der Uni verband mich früh die Erfahrung, dass wir im großen Hörsaal, indem immerhin 600 Plätze vorgehalten werden, zunehmend Mühe hatten, eine Kommunikation auf Augen-, pardon, auf Ohrenhöhe zu führen. Wir waren schlicht zu befangen, zu dumm, zu stolz(?) und einzugestehen, dass wir dringend auf eine Hörhilfe angwiesen waren.